nur fühlen kann," Nachdem sein Wahn, welcher zuletzt in die Ueberzeugung überging, daß er durch die Gnade Gottes einer besondern Erleuchtung theilhaftig geworden sei, ohne Erfolg bekämpft worden war, wurde er im Mai 1842 in eine Ver¬ pflegungsanstalt versetzt.
9.
M., im Jahre 1796 geboren, wurde unter glücklichen Verhältnissen erzogen, und erfreute sich früher einer stets blü¬ henden Gesundheit. Um so trauriger gestaltete sich aber seine Lage, als er in seinem 24. Jahre, noch während er die Ve¬ terinärkunde studirte, sich verheirathete, und dadurch an einer gründlichen wissenschaftlichen Ausbildung verhindert wurde, so daß er die höheren Prüfungen nicht ablegen konnte, sondern sich mit gelegentlichen unbedeutenden Curen einen kärglichen Erwerb verschaffen mußte, welcher noch durch Geldstrafen für unbefugte Heilversuche an Menschen geschmälert wurde. Er hatte daher stets mit Nahrungssorgen und häuslichen Wider¬ wärtigkeiten zu kämpfen, welche er durch häufigen Genuß spi¬ rituöser Getränke zu vergessen bemüht war. Bei seinem chole¬ rischen Temperamente kam es oft zu den Ausbrüchen des hef¬ tigsten Zorns, auf welche in ruhigeren Stunden ein tiefer Gram über seine zerrütteten Verhältnisse folgte. Unter dem Verein dieser Einflüsse entwickelte sich allmählig eine anhaltende Auf¬ regung des Gemüths und Körpers, welche ihrer wesentlichen Bedeutung nach als Delirium tremens angesehen wurde, und deshalb im August 1841 Veranlassung zu seiner Aufnahme in die Abtheilung der Charite für innere Kranke gab. Hier zeigte er sich Anfangs ziemlich ruhig, war im Stande, die ihm vorgelegten Fragen zu beantworten, konnte aber nicht lange einen Gegenstand festhalten, weil er sich fortwährend mit der Vorstellung beschäftigte, daß er der leibhafte Sohn Gottes und kein Mensch sei. Sich selbst überlassen saß er versunken im Brüten über seine göttlichen Eigenschaften, ohne auf seine Umgebungen Acht zu geben, gerieth aber leicht in Heftigkeit, wenn er in seinen Grillen gestört wurde. Schon am nächsten Tage brach ein völliger Wuthanfall bei ihm aus, er schlug
nur fuͤhlen kann,” Nachdem ſein Wahn, welcher zuletzt in die Ueberzeugung uͤberging, daß er durch die Gnade Gottes einer beſondern Erleuchtung theilhaftig geworden ſei, ohne Erfolg bekaͤmpft worden war, wurde er im Mai 1842 in eine Ver¬ pflegungsanſtalt verſetzt.
9.
M., im Jahre 1796 geboren, wurde unter gluͤcklichen Verhaͤltniſſen erzogen, und erfreute ſich fruͤher einer ſtets bluͤ¬ henden Geſundheit. Um ſo trauriger geſtaltete ſich aber ſeine Lage, als er in ſeinem 24. Jahre, noch waͤhrend er die Ve¬ terinaͤrkunde ſtudirte, ſich verheirathete, und dadurch an einer gruͤndlichen wiſſenſchaftlichen Ausbildung verhindert wurde, ſo daß er die hoͤheren Pruͤfungen nicht ablegen konnte, ſondern ſich mit gelegentlichen unbedeutenden Curen einen kaͤrglichen Erwerb verſchaffen mußte, welcher noch durch Geldſtrafen fuͤr unbefugte Heilverſuche an Menſchen geſchmaͤlert wurde. Er hatte daher ſtets mit Nahrungsſorgen und haͤuslichen Wider¬ waͤrtigkeiten zu kaͤmpfen, welche er durch haͤufigen Genuß ſpi¬ rituoͤſer Getraͤnke zu vergeſſen bemuͤht war. Bei ſeinem chole¬ riſchen Temperamente kam es oft zu den Ausbruͤchen des hef¬ tigſten Zorns, auf welche in ruhigeren Stunden ein tiefer Gram uͤber ſeine zerruͤtteten Verhaͤltniſſe folgte. Unter dem Verein dieſer Einfluͤſſe entwickelte ſich allmaͤhlig eine anhaltende Auf¬ regung des Gemuͤths und Koͤrpers, welche ihrer weſentlichen Bedeutung nach als Delirium tremens angeſehen wurde, und deshalb im Auguſt 1841 Veranlaſſung zu ſeiner Aufnahme in die Abtheilung der Charité fuͤr innere Kranke gab. Hier zeigte er ſich Anfangs ziemlich ruhig, war im Stande, die ihm vorgelegten Fragen zu beantworten, konnte aber nicht lange einen Gegenſtand feſthalten, weil er ſich fortwaͤhrend mit der Vorſtellung beſchaͤftigte, daß er der leibhafte Sohn Gottes und kein Menſch ſei. Sich ſelbſt uͤberlaſſen ſaß er verſunken im Bruͤten uͤber ſeine goͤttlichen Eigenſchaften, ohne auf ſeine Umgebungen Acht zu geben, gerieth aber leicht in Heftigkeit, wenn er in ſeinen Grillen geſtoͤrt wurde. Schon am naͤchſten Tage brach ein voͤlliger Wuthanfall bei ihm aus, er ſchlug
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nur fuͤhlen kann,” Nachdem ſein Wahn, welcher zuletzt in die
Ueberzeugung uͤberging, daß er durch die Gnade Gottes einer
beſondern Erleuchtung theilhaftig geworden ſei, ohne Erfolg
bekaͤmpft worden war, wurde er im Mai 1842 in eine Ver¬
pflegungsanſtalt verſetzt.
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M., im Jahre 1796 geboren, wurde unter gluͤcklichen
Verhaͤltniſſen erzogen, und erfreute ſich fruͤher einer ſtets bluͤ¬
henden Geſundheit. Um ſo trauriger geſtaltete ſich aber ſeine
Lage, als er in ſeinem 24. Jahre, noch waͤhrend er die Ve¬
terinaͤrkunde ſtudirte, ſich verheirathete, und dadurch an einer
gruͤndlichen wiſſenſchaftlichen Ausbildung verhindert wurde, ſo
daß er die hoͤheren Pruͤfungen nicht ablegen konnte, ſondern
ſich mit gelegentlichen unbedeutenden Curen einen kaͤrglichen
Erwerb verſchaffen mußte, welcher noch durch Geldſtrafen fuͤr
unbefugte Heilverſuche an Menſchen geſchmaͤlert wurde. Er
hatte daher ſtets mit Nahrungsſorgen und haͤuslichen Wider¬
waͤrtigkeiten zu kaͤmpfen, welche er durch haͤufigen Genuß ſpi¬
rituoͤſer Getraͤnke zu vergeſſen bemuͤht war. Bei ſeinem chole¬
riſchen Temperamente kam es oft zu den Ausbruͤchen des hef¬
tigſten Zorns, auf welche in ruhigeren Stunden ein tiefer Gram
uͤber ſeine zerruͤtteten Verhaͤltniſſe folgte. Unter dem Verein
dieſer Einfluͤſſe entwickelte ſich allmaͤhlig eine anhaltende Auf¬
regung des Gemuͤths und Koͤrpers, welche ihrer weſentlichen
Bedeutung nach als Delirium tremens angeſehen wurde, und
deshalb im Auguſt 1841 Veranlaſſung zu ſeiner Aufnahme in
die Abtheilung der Charité fuͤr innere Kranke gab. Hier
zeigte er ſich Anfangs ziemlich ruhig, war im Stande, die
ihm vorgelegten Fragen zu beantworten, konnte aber nicht
lange einen Gegenſtand feſthalten, weil er ſich fortwaͤhrend mit
der Vorſtellung beſchaͤftigte, daß er der leibhafte Sohn Gottes
und kein Menſch ſei. Sich ſelbſt uͤberlaſſen ſaß er verſunken
im Bruͤten uͤber ſeine goͤttlichen Eigenſchaften, ohne auf ſeine
Umgebungen Acht zu geben, gerieth aber leicht in Heftigkeit,
wenn er in ſeinen Grillen geſtoͤrt wurde. Schon am naͤchſten
Tage brach ein voͤlliger Wuthanfall bei ihm aus, er ſchlug
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/129>, abgerufen am 16.02.2025.
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