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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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muß es wohl erklärt werden, daß sie von einer Vision heim¬
gesucht wurde, in welcher ihr Gott wie in Flammengestalt,
umgeben von theils noch lebenden, theils schon gestorbenen
Verwandten, Freunden und Fremden erschien. Diese Vision
dauerte nur kurze Zeit, so daß sie kaum die einzelnen Figuren,
welche in einander zu fließen schienen, unterscheiden konnte.
Noch während des Spazierganges wiederholte sich diese Erschei¬
nung zweimal, bald auf der Erde, bald im Himmel. In ihrer
exaltirten Stimmung wurde sie dergestalt davon ergriffen, daß
sie die wirkliche Welt aus den Augen verlor, schon in den
Himmel erhoben, und der ewigen Seeligkeit theilhaftig gewor¬
den zu sein glaubte, und daher ihren Ehemann voll Entzücken
mit dem Ausruf küßte: "wir sind nun alle glücklich!" Er
suchte sie zu beruhigen, sie zu überreden, daß sie von ihrer
Einbildung getäuscht sei, und bewirkte dadurch wenigstens so
viel, daß sie nach ihrer Wohnung zurückgekehrt mit Zweifeln
über die Wahrheit oder Nichtigkeit ihrer Vision kämpfte. Durch
diesen inneren Widerstreit wurde sie geängstigt, und ihre Un¬
ruhe reflectirte sich in der Gehörstäuschung, als ob um sie her
ein verworrenes Geräusch erregt werde, in welchem ihre er¬
hitzte Phantasie die Nähe des Teufels sie ahnen lies, welcher
von ihr das Opfer ihres Kindes verlange, um sie ganz von
Gott loszureißen. Ueber diese schreckliche Forderung entsetzte
sie sich dergestalt, daß in ihr eine Verstandesverwirrung ent¬
stand, in welcher ihr eine Stimme unaufhörlich zurief, jene
flammende Sonne sei Gott gewesen, und auf sein Geheiß solle
sie ihr Kind opfern.

Es kam nun zum Ausbruch eines starken Fiebers, welches
von keinem örtlichen Leiden der Brust- und Unterleibsorgane
begleitet gewesen zu sein scheint, desto stärker aber ihren Kopf
angriff, so daß sie bald in ein heftiges Irrereden verfiel. Die
Fieberhitze muß ihr besonders peinlich gewesen sein, da sie noch
in späterer Zeit versicherte, es sei ihr vorgekommen, als ob sie¬
dendes Metall in ihren Adern umliefe. In den Morgenstun¬
den, pflegte sich ein Nachlaß des Fiebers einzustellen, so daß
sie bald bei geringerer Hitze und Unruhe zur Besinnung zu¬
rückkehrte, dagegen die genannten Zufälle in den späteren Ta¬
gesstunden einen hohen Grad erreichten, und ihr den Schlaf

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muß es wohl erklaͤrt werden, daß ſie von einer Viſion heim¬
geſucht wurde, in welcher ihr Gott wie in Flammengeſtalt,
umgeben von theils noch lebenden, theils ſchon geſtorbenen
Verwandten, Freunden und Fremden erſchien. Dieſe Viſion
dauerte nur kurze Zeit, ſo daß ſie kaum die einzelnen Figuren,
welche in einander zu fließen ſchienen, unterſcheiden konnte.
Noch waͤhrend des Spazierganges wiederholte ſich dieſe Erſchei¬
nung zweimal, bald auf der Erde, bald im Himmel. In ihrer
exaltirten Stimmung wurde ſie dergeſtalt davon ergriffen, daß
ſie die wirkliche Welt aus den Augen verlor, ſchon in den
Himmel erhoben, und der ewigen Seeligkeit theilhaftig gewor¬
den zu ſein glaubte, und daher ihren Ehemann voll Entzuͤcken
mit dem Ausruf kuͤßte: „wir ſind nun alle gluͤcklich!” Er
ſuchte ſie zu beruhigen, ſie zu uͤberreden, daß ſie von ihrer
Einbildung getaͤuſcht ſei, und bewirkte dadurch wenigſtens ſo
viel, daß ſie nach ihrer Wohnung zuruͤckgekehrt mit Zweifeln
uͤber die Wahrheit oder Nichtigkeit ihrer Viſion kaͤmpfte. Durch
dieſen inneren Widerſtreit wurde ſie geaͤngſtigt, und ihre Un¬
ruhe reflectirte ſich in der Gehoͤrstaͤuſchung, als ob um ſie her
ein verworrenes Geraͤuſch erregt werde, in welchem ihre er¬
hitzte Phantaſie die Naͤhe des Teufels ſie ahnen lies, welcher
von ihr das Opfer ihres Kindes verlange, um ſie ganz von
Gott loszureißen. Ueber dieſe ſchreckliche Forderung entſetzte
ſie ſich dergeſtalt, daß in ihr eine Verſtandesverwirrung ent¬
ſtand, in welcher ihr eine Stimme unaufhoͤrlich zurief, jene
flammende Sonne ſei Gott geweſen, und auf ſein Geheiß ſolle
ſie ihr Kind opfern.

Es kam nun zum Ausbruch eines ſtarken Fiebers, welches
von keinem oͤrtlichen Leiden der Bruſt- und Unterleibsorgane
begleitet geweſen zu ſein ſcheint, deſto ſtaͤrker aber ihren Kopf
angriff, ſo daß ſie bald in ein heftiges Irrereden verfiel. Die
Fieberhitze muß ihr beſonders peinlich geweſen ſein, da ſie noch
in ſpaͤterer Zeit verſicherte, es ſei ihr vorgekommen, als ob ſie¬
dendes Metall in ihren Adern umliefe. In den Morgenſtun¬
den, pflegte ſich ein Nachlaß des Fiebers einzuſtellen, ſo daß
ſie bald bei geringerer Hitze und Unruhe zur Beſinnung zu¬
ruͤckkehrte, dagegen die genannten Zufaͤlle in den ſpaͤteren Ta¬
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[131/0139] muß es wohl erklaͤrt werden, daß ſie von einer Viſion heim¬ geſucht wurde, in welcher ihr Gott wie in Flammengeſtalt, umgeben von theils noch lebenden, theils ſchon geſtorbenen Verwandten, Freunden und Fremden erſchien. Dieſe Viſion dauerte nur kurze Zeit, ſo daß ſie kaum die einzelnen Figuren, welche in einander zu fließen ſchienen, unterſcheiden konnte. Noch waͤhrend des Spazierganges wiederholte ſich dieſe Erſchei¬ nung zweimal, bald auf der Erde, bald im Himmel. In ihrer exaltirten Stimmung wurde ſie dergeſtalt davon ergriffen, daß ſie die wirkliche Welt aus den Augen verlor, ſchon in den Himmel erhoben, und der ewigen Seeligkeit theilhaftig gewor¬ den zu ſein glaubte, und daher ihren Ehemann voll Entzuͤcken mit dem Ausruf kuͤßte: „wir ſind nun alle gluͤcklich!” Er ſuchte ſie zu beruhigen, ſie zu uͤberreden, daß ſie von ihrer Einbildung getaͤuſcht ſei, und bewirkte dadurch wenigſtens ſo viel, daß ſie nach ihrer Wohnung zuruͤckgekehrt mit Zweifeln uͤber die Wahrheit oder Nichtigkeit ihrer Viſion kaͤmpfte. Durch dieſen inneren Widerſtreit wurde ſie geaͤngſtigt, und ihre Un¬ ruhe reflectirte ſich in der Gehoͤrstaͤuſchung, als ob um ſie her ein verworrenes Geraͤuſch erregt werde, in welchem ihre er¬ hitzte Phantaſie die Naͤhe des Teufels ſie ahnen lies, welcher von ihr das Opfer ihres Kindes verlange, um ſie ganz von Gott loszureißen. Ueber dieſe ſchreckliche Forderung entſetzte ſie ſich dergeſtalt, daß in ihr eine Verſtandesverwirrung ent¬ ſtand, in welcher ihr eine Stimme unaufhoͤrlich zurief, jene flammende Sonne ſei Gott geweſen, und auf ſein Geheiß ſolle ſie ihr Kind opfern. Es kam nun zum Ausbruch eines ſtarken Fiebers, welches von keinem oͤrtlichen Leiden der Bruſt- und Unterleibsorgane begleitet geweſen zu ſein ſcheint, deſto ſtaͤrker aber ihren Kopf angriff, ſo daß ſie bald in ein heftiges Irrereden verfiel. Die Fieberhitze muß ihr beſonders peinlich geweſen ſein, da ſie noch in ſpaͤterer Zeit verſicherte, es ſei ihr vorgekommen, als ob ſie¬ dendes Metall in ihren Adern umliefe. In den Morgenſtun¬ den, pflegte ſich ein Nachlaß des Fiebers einzuſtellen, ſo daß ſie bald bei geringerer Hitze und Unruhe zur Beſinnung zu¬ ruͤckkehrte, dagegen die genannten Zufaͤlle in den ſpaͤteren Ta¬ gesſtunden einen hohen Grad erreichten, und ihr den Schlaf 9 *

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/139>, abgerufen am 21.11.2024.