Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.rung reicht, scheint die Entwickelung seines religiösen Bewußt¬ Schon frühzeitig hatte er die Mangelhaftigkeit des em¬ rung reicht, ſcheint die Entwickelung ſeines religioͤſen Bewußt¬ Schon fruͤhzeitig hatte er die Mangelhaftigkeit des em¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0179" n="171"/> rung reicht, ſcheint die Entwickelung ſeines religioͤſen Bewußt¬<lb/> ſeins ziemlich geregelt von Statten gegangen zu ſein, denn er<lb/> verſichert, daß er eben ſo wohl ein inniges Vertrauen gegen<lb/> Gott, welcher ihm aus aller Noth helfen werde, als eine tiefe<lb/> Ehrfurcht vor der Heiligkeit der goͤttlichen Gebote empfunden<lb/> habe, daß er zur Glaubensfreudigkeit geſtimmt geweſen ſei,<lb/> und nur gelegentlich Anwandlungen von frommer Schwermuth<lb/> erfahren habe. Insbeſondere empfand er dieſen Wechſel der<lb/> Gefuͤhle waͤhrend des Religionsunterrichts bei Gelegenheit der<lb/> Lehre, daß der Menſch im verblendeten Hochmuth eine ſchwere<lb/> Suͤnde auf ſich lade, wenn er durch eigenes Verdienſt ſich den<lb/> Weg zum Guten bahnen zu koͤnnen glaube, und nicht alle<lb/> Hoffnung auf Seeligkeit in die Gnade Gottes ſetze. Durch<lb/> das Auswendiglernen vieler Pſalmen in ſeinen frommen Ge¬<lb/> fuͤhlen lief erregt, wurde er durch jene ſtrenge Lehre dergeſtalt<lb/> erſchuͤttert, daß er eine Zeitlang an ſeiner Seeligkeit verzwei¬<lb/> felte, und vielleicht wuͤrde er ſchon damals dem Wahn zum<lb/> Raube geworden ſein, wenn ihn nicht das ſchoͤne Vorrecht der<lb/> fruͤhen Jugend, von jener ſchlimmſten Geißel des Lebens befreit zu<lb/> bleiben, dagegen geſchuͤtzt, und ihm den Frieden ſeiner Seele<lb/> wiedergegeben haͤtte. Indeß wer ermißt die ſpaͤteren Nach¬<lb/> wirkungen ſo tiefer Eindruͤcke in das zarte Gemuͤth, welche<lb/> gewiß oͤfter, als es bei oberflaͤchlicher Anſchauung ſcheint, in<lb/> daſſelbe die Saat kuͤnftiger Leiden und Verirrungen ſtreuen,<lb/> um ſie nach laͤngerem Schlummer in ſpaͤteren Jahren zur Ent¬<lb/> wickelung und Reife zu bringen.</p><lb/> <p>Schon fruͤhzeitig hatte er die Mangelhaftigkeit des em¬<lb/> pfangenen Schulunterrichts ſchmerzlich empfunden, weshalb er<lb/> mit Eifer die ihm dargebotene Gelegenheit ergriff, ſich durch<lb/> den Jahre lang fortgeſetzten Beſuch einer Sonntagsſchule wei¬<lb/> ter auszubilden. Durch leichte Faſſungsgabe unterſtuͤtzt, und<lb/> durch fleißige Lectuͤre von Erbauungsſchriften in einer ſteten<lb/> Aufregung erhalten, erwarb er ſich eine geiſtige Lebendig¬<lb/> keit, welche unter den druͤckenden Verhaͤltniſſen ſeiner Lage<lb/> von aller Theilnahme an geſelligen Aufheiterungen ausgeſchloſ¬<lb/> ſen um ſo entſchiedener eine myſtiſche contemplative Richtung<lb/> einſchlug. Zwar befand er ſich nach ſeiner im 14. Lebensjahre<lb/> erfolgten Ruͤckkehr zu ſeinem Vater unter etwas guͤnſtigeren<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [171/0179]
rung reicht, ſcheint die Entwickelung ſeines religioͤſen Bewußt¬
ſeins ziemlich geregelt von Statten gegangen zu ſein, denn er
verſichert, daß er eben ſo wohl ein inniges Vertrauen gegen
Gott, welcher ihm aus aller Noth helfen werde, als eine tiefe
Ehrfurcht vor der Heiligkeit der goͤttlichen Gebote empfunden
habe, daß er zur Glaubensfreudigkeit geſtimmt geweſen ſei,
und nur gelegentlich Anwandlungen von frommer Schwermuth
erfahren habe. Insbeſondere empfand er dieſen Wechſel der
Gefuͤhle waͤhrend des Religionsunterrichts bei Gelegenheit der
Lehre, daß der Menſch im verblendeten Hochmuth eine ſchwere
Suͤnde auf ſich lade, wenn er durch eigenes Verdienſt ſich den
Weg zum Guten bahnen zu koͤnnen glaube, und nicht alle
Hoffnung auf Seeligkeit in die Gnade Gottes ſetze. Durch
das Auswendiglernen vieler Pſalmen in ſeinen frommen Ge¬
fuͤhlen lief erregt, wurde er durch jene ſtrenge Lehre dergeſtalt
erſchuͤttert, daß er eine Zeitlang an ſeiner Seeligkeit verzwei¬
felte, und vielleicht wuͤrde er ſchon damals dem Wahn zum
Raube geworden ſein, wenn ihn nicht das ſchoͤne Vorrecht der
fruͤhen Jugend, von jener ſchlimmſten Geißel des Lebens befreit zu
bleiben, dagegen geſchuͤtzt, und ihm den Frieden ſeiner Seele
wiedergegeben haͤtte. Indeß wer ermißt die ſpaͤteren Nach¬
wirkungen ſo tiefer Eindruͤcke in das zarte Gemuͤth, welche
gewiß oͤfter, als es bei oberflaͤchlicher Anſchauung ſcheint, in
daſſelbe die Saat kuͤnftiger Leiden und Verirrungen ſtreuen,
um ſie nach laͤngerem Schlummer in ſpaͤteren Jahren zur Ent¬
wickelung und Reife zu bringen.
Schon fruͤhzeitig hatte er die Mangelhaftigkeit des em¬
pfangenen Schulunterrichts ſchmerzlich empfunden, weshalb er
mit Eifer die ihm dargebotene Gelegenheit ergriff, ſich durch
den Jahre lang fortgeſetzten Beſuch einer Sonntagsſchule wei¬
ter auszubilden. Durch leichte Faſſungsgabe unterſtuͤtzt, und
durch fleißige Lectuͤre von Erbauungsſchriften in einer ſteten
Aufregung erhalten, erwarb er ſich eine geiſtige Lebendig¬
keit, welche unter den druͤckenden Verhaͤltniſſen ſeiner Lage
von aller Theilnahme an geſelligen Aufheiterungen ausgeſchloſ¬
ſen um ſo entſchiedener eine myſtiſche contemplative Richtung
einſchlug. Zwar befand er ſich nach ſeiner im 14. Lebensjahre
erfolgten Ruͤckkehr zu ſeinem Vater unter etwas guͤnſtigeren
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