Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.Erwerbe zurückgehalten hätten, weil sie ihm öfters Geld unter Die vorherrschend religiös mystische Richtung wurde von Ideler über d. rel. Wahnsinn. 12
Erwerbe zuruͤckgehalten haͤtten, weil ſie ihm oͤfters Geld unter Die vorherrſchend religioͤs myſtiſche Richtung wurde von Ideler uͤber d. rel. Wahnſinn. 12
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0185" n="177"/> Erwerbe zuruͤckgehalten haͤtten, weil ſie ihm oͤfters Geld unter<lb/> dem Vorwande abſchwatzten, daß er nicht an Irdiſches ſein<lb/> Herz haͤngen ſolle. Seit jener Zeit widmete er ſich zwar ei¬<lb/> ner eifrigen Erwerbsthaͤtigkeit, indeß ſein lebhaftes Verlangen<lb/> nach hoͤherer Geiſtesbildung trieb ihn an, ſich in den Muße¬<lb/> ſtunden fleißig mit Lectuͤre nicht nur von Erbauungsſchriften,<lb/> ſondern auch von Werken der verſchiedenſten Art zu beſchaͤfti¬<lb/> gen. Zu dieſem Zweck erborgte er ſich hiſtoriſche, criminaliſti¬<lb/> ſche Werke, Theaterſtuͤcke, Reiſebeſchreibungen und mehreres<lb/> Andere theils aus Leihbibliotheken, theils ſchaffte er ſich fuͤr<lb/> ſeine geringen Erſparniſſe Grammatiken, geiſtliche Gedichte,<lb/> Paraphraſen der Pſalmen, die Harfentoͤne u. dgl. an. Kaum<lb/> bedarf es der Bemerkung, daß eine ſo planloſe Lectuͤre, auf<lb/> welche er nicht im Mindeſten vorbereitet war, nur dazu bei¬<lb/> trug, ſeinen ohnehin ſchon ſo unklaren Kopf noch mehr zu<lb/> verwirren. Er ergab ſich dieſen geiſtigen Beſchaͤftigungen mit<lb/> einem ſolchen Eifer, daß er oft bis 2 und 3 Uhr nach Mit¬<lb/> ternacht las, und ſich dadurch dergeſtalt entkraͤftete, daß er<lb/> am Tage kaum arbeiten konnte. Dennoch ſetzte er dieſe ver¬<lb/> kehrte Lebensweiſe ein halbes Jahr fort, wo er ſich dann durch<lb/> zunehmende Schwaͤche genoͤthigt ſah, dieſelbe zu beſchraͤnken,<lb/> ohne ſie jedoch ganz aufzugeben, da er eine gewiſſe Redſelig¬<lb/> keit, mit welcher er ſeine unverdauten Kenntniſſe auskramte,<lb/> fuͤr einen Fortſchritt ſeiner Geiſtesbildung hielt.</p><lb/> <p>Die vorherrſchend religioͤs myſtiſche Richtung wurde von<lb/> ihm beſonders dadurch befoͤrdert, daß er mehrere Jahre hin¬<lb/> durch im Auftrage eines Pietiſten an den Sonntagen Bibeln<lb/> und Tractaͤtlein austheilte. Zu dieſem Zwecke ſuchte er arme<lb/> Handwerker, welche ihm meiſtens unbekannt waren, in ihren<lb/> Haͤuſern auf, und richtete ſalbungsvolle Reden an ſie, um ſie<lb/> zu bewegen, den Sonntag mit frommen Betrachtungen<lb/> und erbaulicher Lectuͤre zu feiern, und ſich aller Arbeit zu<lb/> enthalten. Bei Einigen fand er eine bereitwillige Auf¬<lb/> nahme, bei Anderen dagegen Spott und Hohn, wodurch<lb/> er in der Meinung von dem Widerſtreben der Weltkin¬<lb/> der gegen ſeine Geſinnung beſtaͤrkt wurde, welches er indeß<lb/> mit Gelaſſenheit ertrug. Da er ſelbſt jene Tractaͤtlein eifrig<lb/> ſtudirte, ſo wurde er durch ihren myſtiſch fanatiſchen Inhalt<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Ideler</hi> uͤber d. rel. Wahnſinn. 12<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [177/0185]
Erwerbe zuruͤckgehalten haͤtten, weil ſie ihm oͤfters Geld unter
dem Vorwande abſchwatzten, daß er nicht an Irdiſches ſein
Herz haͤngen ſolle. Seit jener Zeit widmete er ſich zwar ei¬
ner eifrigen Erwerbsthaͤtigkeit, indeß ſein lebhaftes Verlangen
nach hoͤherer Geiſtesbildung trieb ihn an, ſich in den Muße¬
ſtunden fleißig mit Lectuͤre nicht nur von Erbauungsſchriften,
ſondern auch von Werken der verſchiedenſten Art zu beſchaͤfti¬
gen. Zu dieſem Zweck erborgte er ſich hiſtoriſche, criminaliſti¬
ſche Werke, Theaterſtuͤcke, Reiſebeſchreibungen und mehreres
Andere theils aus Leihbibliotheken, theils ſchaffte er ſich fuͤr
ſeine geringen Erſparniſſe Grammatiken, geiſtliche Gedichte,
Paraphraſen der Pſalmen, die Harfentoͤne u. dgl. an. Kaum
bedarf es der Bemerkung, daß eine ſo planloſe Lectuͤre, auf
welche er nicht im Mindeſten vorbereitet war, nur dazu bei¬
trug, ſeinen ohnehin ſchon ſo unklaren Kopf noch mehr zu
verwirren. Er ergab ſich dieſen geiſtigen Beſchaͤftigungen mit
einem ſolchen Eifer, daß er oft bis 2 und 3 Uhr nach Mit¬
ternacht las, und ſich dadurch dergeſtalt entkraͤftete, daß er
am Tage kaum arbeiten konnte. Dennoch ſetzte er dieſe ver¬
kehrte Lebensweiſe ein halbes Jahr fort, wo er ſich dann durch
zunehmende Schwaͤche genoͤthigt ſah, dieſelbe zu beſchraͤnken,
ohne ſie jedoch ganz aufzugeben, da er eine gewiſſe Redſelig¬
keit, mit welcher er ſeine unverdauten Kenntniſſe auskramte,
fuͤr einen Fortſchritt ſeiner Geiſtesbildung hielt.
Die vorherrſchend religioͤs myſtiſche Richtung wurde von
ihm beſonders dadurch befoͤrdert, daß er mehrere Jahre hin¬
durch im Auftrage eines Pietiſten an den Sonntagen Bibeln
und Tractaͤtlein austheilte. Zu dieſem Zwecke ſuchte er arme
Handwerker, welche ihm meiſtens unbekannt waren, in ihren
Haͤuſern auf, und richtete ſalbungsvolle Reden an ſie, um ſie
zu bewegen, den Sonntag mit frommen Betrachtungen
und erbaulicher Lectuͤre zu feiern, und ſich aller Arbeit zu
enthalten. Bei Einigen fand er eine bereitwillige Auf¬
nahme, bei Anderen dagegen Spott und Hohn, wodurch
er in der Meinung von dem Widerſtreben der Weltkin¬
der gegen ſeine Geſinnung beſtaͤrkt wurde, welches er indeß
mit Gelaſſenheit ertrug. Da er ſelbſt jene Tractaͤtlein eifrig
ſtudirte, ſo wurde er durch ihren myſtiſch fanatiſchen Inhalt
Ideler uͤber d. rel. Wahnſinn. 12
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