Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.der Phantasie beurkunden, und mit Hülfe beider ein Zauber¬ Gewiß, es eröffnet sich auf diesem Standpunkte der Be¬ Wir dürfen bei diesen Betrachtungen nicht länger verweilen, der Phantaſie beurkunden, und mit Huͤlfe beider ein Zauber¬ Gewiß, es eroͤffnet ſich auf dieſem Standpunkte der Be¬ Wir duͤrfen bei dieſen Betrachtungen nicht laͤnger verweilen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0019" n="11"/> der Phantaſie beurkunden, und mit Huͤlfe beider ein Zauber¬<lb/> reich von Vorſtellungen hervorrufen, deſſen kuͤhnen Verhaͤlt¬<lb/> niſſen, großartiger Bedeutung, ja idealer Verklaͤrung man ſeine<lb/> Bewunderung nicht verſagen kann. Ja es ereignet ſich zu¬<lb/> weilen, daß Perſonen, deren Geiſt in fruͤherer Lebensbeſchraͤn¬<lb/> kung es nur bis zu einer duͤrftigen Entwickelung bringen<lb/> konnte, im Wahn die Feſſeln derſelben abſchuͤtteln, und in<lb/> ſchwunghafte Thaͤtigkeit verſetzt, mit einer Fuͤlle der großar¬<lb/> tigſten Vorſtellungen uͤberraſchen.</p><lb/> <p>Gewiß, es eroͤffnet ſich auf dieſem Standpunkte der Be¬<lb/> trachtung die Ausſicht auf ein ganz unermeßliches Gebiet der<lb/> pſychologiſchen Forſchung, wo unzaͤhlige Probleme von der wich¬<lb/> tigſten Bedeutung ſich an einander reihen, und weit entfernt,<lb/> daß der Wahnſinn das troſtloſe Bild eines ſich ſelbſt vernich¬<lb/> tenden Geiſtes gewaͤhren ſollte, beurkundet er vielmehr das<lb/> durch Nichts zu verwuͤſtende ſchoͤpferiſche Vermoͤgen deſſelben,<lb/> immer aufs Neue Welten von Vorſtellungen aus ſich zu er¬<lb/> zeugen, nachdem die fruͤheren in ſich zerfallen ſind. Erwaͤgt<lb/> man nun noch, daß der Urſprung des Wahns aus dem fruͤ¬<lb/> heren Leben die innerſten Entwickelungsvorgaͤnge, den weſent¬<lb/> lich urſachlichen Zuſammenhang ſeiner auf einander folgenden<lb/> Zuſtaͤnde aufdeckt, und dadurch das geheime Werden und Wach¬<lb/> ſen der in den tiefſten Grund der Seele gelegten Keime, alſo<lb/> ihr innerſtes und urſpruͤnglichſtes Leben zur unmittelbaren An¬<lb/> ſchauung bringt, aus welcher ſodann auch die Bedingungen<lb/> der Heilung klar werden muͤſſen; ſo begreift es ſich leicht, daß<lb/> dem Menſchenforſcher gerade im Gebiete der Geiſteskrankheiten<lb/> der tiefſte Schacht der Erkenntniß eroͤffnet wird, deſſen Reich¬<lb/> thum ſich noch gar nicht ahnen laͤßt.</p><lb/> <p>Wir duͤrfen bei dieſen Betrachtungen nicht laͤnger verweilen,<lb/> da ſie nur dazu dienen ſollten, die hochwichtige Bedeutung<lb/> des religioͤſen Wahns etwas naͤher zu bezeichnen, um ihm ein<lb/> allgemeineres Intereſſe zuzuwenden. Iſt derſelbe naͤmlich im<lb/> Sinne des bisher Geſagten nichts Anderes, als die Wirkung<lb/> einer ſo grenzenloſen Sehnſucht nach dem Goͤttlichen, daß die¬<lb/> ſelbe jede andere Neigung ſich unterordnet, oder geradezu un¬<lb/> terdruͤckt, ſo ſtellt er ſich deshalb als eine der großartigſten<lb/> und maͤchtigſten Erſcheinungen des Lebens dar. Denn zuvoͤr¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [11/0019]
der Phantaſie beurkunden, und mit Huͤlfe beider ein Zauber¬
reich von Vorſtellungen hervorrufen, deſſen kuͤhnen Verhaͤlt¬
niſſen, großartiger Bedeutung, ja idealer Verklaͤrung man ſeine
Bewunderung nicht verſagen kann. Ja es ereignet ſich zu¬
weilen, daß Perſonen, deren Geiſt in fruͤherer Lebensbeſchraͤn¬
kung es nur bis zu einer duͤrftigen Entwickelung bringen
konnte, im Wahn die Feſſeln derſelben abſchuͤtteln, und in
ſchwunghafte Thaͤtigkeit verſetzt, mit einer Fuͤlle der großar¬
tigſten Vorſtellungen uͤberraſchen.
Gewiß, es eroͤffnet ſich auf dieſem Standpunkte der Be¬
trachtung die Ausſicht auf ein ganz unermeßliches Gebiet der
pſychologiſchen Forſchung, wo unzaͤhlige Probleme von der wich¬
tigſten Bedeutung ſich an einander reihen, und weit entfernt,
daß der Wahnſinn das troſtloſe Bild eines ſich ſelbſt vernich¬
tenden Geiſtes gewaͤhren ſollte, beurkundet er vielmehr das
durch Nichts zu verwuͤſtende ſchoͤpferiſche Vermoͤgen deſſelben,
immer aufs Neue Welten von Vorſtellungen aus ſich zu er¬
zeugen, nachdem die fruͤheren in ſich zerfallen ſind. Erwaͤgt
man nun noch, daß der Urſprung des Wahns aus dem fruͤ¬
heren Leben die innerſten Entwickelungsvorgaͤnge, den weſent¬
lich urſachlichen Zuſammenhang ſeiner auf einander folgenden
Zuſtaͤnde aufdeckt, und dadurch das geheime Werden und Wach¬
ſen der in den tiefſten Grund der Seele gelegten Keime, alſo
ihr innerſtes und urſpruͤnglichſtes Leben zur unmittelbaren An¬
ſchauung bringt, aus welcher ſodann auch die Bedingungen
der Heilung klar werden muͤſſen; ſo begreift es ſich leicht, daß
dem Menſchenforſcher gerade im Gebiete der Geiſteskrankheiten
der tiefſte Schacht der Erkenntniß eroͤffnet wird, deſſen Reich¬
thum ſich noch gar nicht ahnen laͤßt.
Wir duͤrfen bei dieſen Betrachtungen nicht laͤnger verweilen,
da ſie nur dazu dienen ſollten, die hochwichtige Bedeutung
des religioͤſen Wahns etwas naͤher zu bezeichnen, um ihm ein
allgemeineres Intereſſe zuzuwenden. Iſt derſelbe naͤmlich im
Sinne des bisher Geſagten nichts Anderes, als die Wirkung
einer ſo grenzenloſen Sehnſucht nach dem Goͤttlichen, daß die¬
ſelbe jede andere Neigung ſich unterordnet, oder geradezu un¬
terdruͤckt, ſo ſtellt er ſich deshalb als eine der großartigſten
und maͤchtigſten Erſcheinungen des Lebens dar. Denn zuvoͤr¬
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