Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.drückung des gesunden Urtheils durch einen Wust von zer¬ Ohne bei diesen Betrachtungen länger zu verweilen, be¬ druͤckung des geſunden Urtheils durch einen Wuſt von zer¬ Ohne bei dieſen Betrachtungen laͤnger zu verweilen, be¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0191" n="183"/> druͤckung des geſunden Urtheils durch einen Wuſt von zer¬<lb/> ſtreuten Begriffen eines der ſchlimmſten, weil dadurch dem Gei¬<lb/> ſte geradezu die Moͤglichkeit geraubt wird, in irgend eine Ueber¬<lb/> einſtimmung mit ſich wieder zu kommen. Gleich einer zer¬<lb/> ſetzenden Gaͤhrung wirbeln die abgeriſſenen Vorſtellungen wie<lb/> in einem wuͤſten Traume durch einander, verſchwinden wie<lb/> dieſer faſt ſpurlos aus dem Bewußtſein, ſo daß eine tief in¬<lb/> nerliche Zerſtoͤrung aller weſentlichen Denkoperationen die noth¬<lb/> wendige Folge davon ſein muß, welche ſich dann unter den<lb/> Erſcheinungen der Verſtandesverwirrung darſtellt.</p><lb/> <p>Ohne bei dieſen Betrachtungen laͤnger zu verweilen, be¬<lb/> merke ich nur, daß ſie uns einen genuͤgenden Aufſchluß uͤber<lb/> den Seelenzuſtand des E. geben. Er hat zwar noch ſo viele<lb/> aͤußere Beſinnung uͤbrig behalten, daß er nicht nur uͤber ſein<lb/> fruͤheres Leben ausfuͤhrlich Auskunft ertheilen, ſondern daß er<lb/> auch noch an den Unterrichtsſtunden Theil nehmen kann, in<lb/> denen der Verſuch gemacht wird, durch Rechenuͤbungen und<lb/> andere elementare geiſtige Beſchaͤftigungen ſeinem Verſtande<lb/> einige Ordnung und Klarheit zuruͤckzugeben; aber ein bleiben¬<lb/> der Vortheil hat ſich dadurch noch nicht erringen laſſen. Denn<lb/> ſein Hang zu wahnwitzigen Gruͤbeleien iſt ſo groß, daß er je¬<lb/> den Tag neue Grillen ausheckt, uͤber deren Ungereimtheit er<lb/> durchaus nicht zur Beſinnung gebracht werden kann. So be¬<lb/> ſchaͤftigt er ſich z. B. mit apokalyptiſchen Traͤumereien uͤber<lb/> das ewige Leben, welches er auf die abgeſchmackteſte Weiſe<lb/> ſchildert, indem er unter anderem behauptet, daß alle Seeli¬<lb/> gen der Ordnung und Schoͤnheit wegen eine glaͤnzende Uni¬<lb/> form tragen wuͤrden. Ein andermal verſichert er, Koͤnig von<lb/> Zion werden zu ſollen, und deshalb den tuͤrkiſchen Kaiſer zur<lb/> Abtretung Jeruſalems durch eine Armee zwingen zu muͤſſen,<lb/> welche er allmaͤhlig Mann fuͤr Mann anwerben wolle. Auch<lb/> ſein Wahn, Nachfolger oder Sohn Napoleon's zu ſein, tauchte<lb/> wieder auf; er verkuͤndete, daß derſelbe nach einigen Jahren<lb/> unter großem Siegesgepraͤnge in Berlin einziehen werde, deſſen<lb/> Straßen erweitert werden muͤßten, um die Schaaren des<lb/> Triumphators zu faſſen. Wenn man ihn bei einem Bilde<lb/> feſthalten will, geraͤth er bald in eine Verwirrung der Vor¬<lb/> ſtellungen, deren Sinnloſigkeit zu einem Abbrechen des Ge¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [183/0191]
druͤckung des geſunden Urtheils durch einen Wuſt von zer¬
ſtreuten Begriffen eines der ſchlimmſten, weil dadurch dem Gei¬
ſte geradezu die Moͤglichkeit geraubt wird, in irgend eine Ueber¬
einſtimmung mit ſich wieder zu kommen. Gleich einer zer¬
ſetzenden Gaͤhrung wirbeln die abgeriſſenen Vorſtellungen wie
in einem wuͤſten Traume durch einander, verſchwinden wie
dieſer faſt ſpurlos aus dem Bewußtſein, ſo daß eine tief in¬
nerliche Zerſtoͤrung aller weſentlichen Denkoperationen die noth¬
wendige Folge davon ſein muß, welche ſich dann unter den
Erſcheinungen der Verſtandesverwirrung darſtellt.
Ohne bei dieſen Betrachtungen laͤnger zu verweilen, be¬
merke ich nur, daß ſie uns einen genuͤgenden Aufſchluß uͤber
den Seelenzuſtand des E. geben. Er hat zwar noch ſo viele
aͤußere Beſinnung uͤbrig behalten, daß er nicht nur uͤber ſein
fruͤheres Leben ausfuͤhrlich Auskunft ertheilen, ſondern daß er
auch noch an den Unterrichtsſtunden Theil nehmen kann, in
denen der Verſuch gemacht wird, durch Rechenuͤbungen und
andere elementare geiſtige Beſchaͤftigungen ſeinem Verſtande
einige Ordnung und Klarheit zuruͤckzugeben; aber ein bleiben¬
der Vortheil hat ſich dadurch noch nicht erringen laſſen. Denn
ſein Hang zu wahnwitzigen Gruͤbeleien iſt ſo groß, daß er je¬
den Tag neue Grillen ausheckt, uͤber deren Ungereimtheit er
durchaus nicht zur Beſinnung gebracht werden kann. So be¬
ſchaͤftigt er ſich z. B. mit apokalyptiſchen Traͤumereien uͤber
das ewige Leben, welches er auf die abgeſchmackteſte Weiſe
ſchildert, indem er unter anderem behauptet, daß alle Seeli¬
gen der Ordnung und Schoͤnheit wegen eine glaͤnzende Uni¬
form tragen wuͤrden. Ein andermal verſichert er, Koͤnig von
Zion werden zu ſollen, und deshalb den tuͤrkiſchen Kaiſer zur
Abtretung Jeruſalems durch eine Armee zwingen zu muͤſſen,
welche er allmaͤhlig Mann fuͤr Mann anwerben wolle. Auch
ſein Wahn, Nachfolger oder Sohn Napoleon's zu ſein, tauchte
wieder auf; er verkuͤndete, daß derſelbe nach einigen Jahren
unter großem Siegesgepraͤnge in Berlin einziehen werde, deſſen
Straßen erweitert werden muͤßten, um die Schaaren des
Triumphators zu faſſen. Wenn man ihn bei einem Bilde
feſthalten will, geraͤth er bald in eine Verwirrung der Vor¬
ſtellungen, deren Sinnloſigkeit zu einem Abbrechen des Ge¬
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