Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.Bildungsgange des Menschengeschlechts war, kann den Muth Ideler über d. rel. Wahnsinn. 2
Bildungsgange des Menſchengeſchlechts war, kann den Muth Ideler uͤber d. rel. Wahnſinn. 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0025" n="17"/> Bildungsgange des Menſchengeſchlechts war, kann den Muth<lb/> einfloͤßen, die Schrecken ſeiner Herrſchaft kaltbluͤtig mit dem<lb/> Auge des wiſſenſchaftlichen Forſchers zu betrachten. Endlich<lb/> aber hat derſelbe Blut genug vergoſſen, und den freien Ent¬<lb/> wickelungstrieb hochherziger Voͤlker, vor allen der Spanier, lange<lb/> genug darniedergehalten. Soll unſre Zeit ihren reformatori¬<lb/> ſchen Charakter im edelſten Sinne bewaͤhren, nicht ihren ho¬<lb/> hen Beruf dadurch herabwuͤrdigen, daß ſie fuͤr die Herrſchaft<lb/> engherziger Intereſſen ſtreitet; ſo iſt dazu vor Allem erforder¬<lb/> lich, daß ſie den Sieg der Religion erringt, indem ſie Frie¬<lb/> den unter den entzweiten Beſtrebungen der Voͤlker ſtiftet, daß<lb/> ſie nicht mehr die frommen Leidenſchaften als treuloſe Bun¬<lb/> desgenoſſen zu Huͤlfe ruft, um ihre großartigen Zwecke zu er¬<lb/> reichen. Wollte man den zelotiſchen Eiferern Glauben beimeſ¬<lb/> ſen, ſo waͤre die religioͤſe Wiedergeburt eines in Selbſtſucht<lb/> und Materialismus geiſtig erſtorbenen Volks nur von der Fa¬<lb/> natiſirung deſſelben zu hoffen, daher denn erſtere ein kuͤnſtlich<lb/> organiſirtes Syſtem von Huͤlfsmitteln erſonnen haben, um durch<lb/> Stiftung ſchwaͤrmeriſcher Secten, durch Befoͤrderung des My¬<lb/> ſticismus in pietiſtiſchen Conventikeln, in der Verbreitung einer<lb/> Fluth von vernunftbethoͤrenden Traktaͤtlein, durch Verketzerung<lb/> der Glaubens- und Gewiſſensfreiheit im Bunde mit der Wiſ¬<lb/> ſenſchaft, ja durch Erregung wirklicher Epidemieen ſchwindel¬<lb/> hafter Schwaͤrmerei die tiefſte Finſterniß uͤber alle Geiſter aus¬<lb/> zugießen, weil in derſelben nach ihrer Ueberzeugung die Reli¬<lb/> gion allein ihr Gedeihen finden kann. Aber gleichwie das Son¬<lb/> nenlicht (einige unbedeutende Ausnahmen abgerechnet) ein ab¬<lb/> ſolut nothwendiges Lebens-Element aller organiſchen Geſchoͤpfe<lb/> iſt, welche dem heilſamen Einfluſſe deſſelben entzogen zu Mi߬<lb/> geſtalten entarten; eben ſo muß auch das Licht der Vernunft<lb/> als die unerlaͤßliche Bedingung der geiſtigen Entwickelung an¬<lb/> geſehen werden, welche derſelben beraubt nur noch Monſtro¬<lb/> ſitaͤten des Charakters erzeugen kann. In einem thatkraͤftigen,<lb/> geſinnungstuͤchtigen Volke wird der religioͤſe Obſcurantismus<lb/> ſeine verderblichen Wirkungen nur in einem beſchraͤnkten Maaße<lb/> hervorbringen koͤnnen, daher letztere dann leicht der Beobach¬<lb/> tung ſich entziehen. Bemaͤchtigt ſich derſelbe aber ſchwacher<lb/> Gemuͤther, denen jede Faͤhigkeit der freien Selbſtbeſtimmung<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Ideler</hi> uͤber d. rel. Wahnſinn. 2<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [17/0025]
Bildungsgange des Menſchengeſchlechts war, kann den Muth
einfloͤßen, die Schrecken ſeiner Herrſchaft kaltbluͤtig mit dem
Auge des wiſſenſchaftlichen Forſchers zu betrachten. Endlich
aber hat derſelbe Blut genug vergoſſen, und den freien Ent¬
wickelungstrieb hochherziger Voͤlker, vor allen der Spanier, lange
genug darniedergehalten. Soll unſre Zeit ihren reformatori¬
ſchen Charakter im edelſten Sinne bewaͤhren, nicht ihren ho¬
hen Beruf dadurch herabwuͤrdigen, daß ſie fuͤr die Herrſchaft
engherziger Intereſſen ſtreitet; ſo iſt dazu vor Allem erforder¬
lich, daß ſie den Sieg der Religion erringt, indem ſie Frie¬
den unter den entzweiten Beſtrebungen der Voͤlker ſtiftet, daß
ſie nicht mehr die frommen Leidenſchaften als treuloſe Bun¬
desgenoſſen zu Huͤlfe ruft, um ihre großartigen Zwecke zu er¬
reichen. Wollte man den zelotiſchen Eiferern Glauben beimeſ¬
ſen, ſo waͤre die religioͤſe Wiedergeburt eines in Selbſtſucht
und Materialismus geiſtig erſtorbenen Volks nur von der Fa¬
natiſirung deſſelben zu hoffen, daher denn erſtere ein kuͤnſtlich
organiſirtes Syſtem von Huͤlfsmitteln erſonnen haben, um durch
Stiftung ſchwaͤrmeriſcher Secten, durch Befoͤrderung des My¬
ſticismus in pietiſtiſchen Conventikeln, in der Verbreitung einer
Fluth von vernunftbethoͤrenden Traktaͤtlein, durch Verketzerung
der Glaubens- und Gewiſſensfreiheit im Bunde mit der Wiſ¬
ſenſchaft, ja durch Erregung wirklicher Epidemieen ſchwindel¬
hafter Schwaͤrmerei die tiefſte Finſterniß uͤber alle Geiſter aus¬
zugießen, weil in derſelben nach ihrer Ueberzeugung die Reli¬
gion allein ihr Gedeihen finden kann. Aber gleichwie das Son¬
nenlicht (einige unbedeutende Ausnahmen abgerechnet) ein ab¬
ſolut nothwendiges Lebens-Element aller organiſchen Geſchoͤpfe
iſt, welche dem heilſamen Einfluſſe deſſelben entzogen zu Mi߬
geſtalten entarten; eben ſo muß auch das Licht der Vernunft
als die unerlaͤßliche Bedingung der geiſtigen Entwickelung an¬
geſehen werden, welche derſelben beraubt nur noch Monſtro¬
ſitaͤten des Charakters erzeugen kann. In einem thatkraͤftigen,
geſinnungstuͤchtigen Volke wird der religioͤſe Obſcurantismus
ſeine verderblichen Wirkungen nur in einem beſchraͤnkten Maaße
hervorbringen koͤnnen, daher letztere dann leicht der Beobach¬
tung ſich entziehen. Bemaͤchtigt ſich derſelbe aber ſchwacher
Gemuͤther, denen jede Faͤhigkeit der freien Selbſtbeſtimmung
Ideler uͤber d. rel. Wahnſinn. 2
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