Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.der Welt erwartete, so machte er sich darauf gefaßt, daß das Diese Vorstellung beherrschte ihn besonders am Nachmittage, Am nächsten Tage erfolgte seine Aufnahme in die Charite', der Welt erwartete, ſo machte er ſich darauf gefaßt, daß das Dieſe Vorſtellung beherrſchte ihn beſonders am Nachmittage, Am naͤchſten Tage erfolgte ſeine Aufnahme in die Charite', <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0044" n="36"/> der Welt erwartete, ſo machte er ſich darauf gefaßt, daß das<lb/> Strafgericht Gottes demnaͤchſt uͤber Berlin hereinbrechen, und<lb/> letzteres in Flammen aufgehen werde.</p><lb/> <p>Dieſe Vorſtellung beherrſchte ihn beſonders am Nachmittage,<lb/> als er einen Rock verkaufen wollte, um mit dem Erloͤs die Ueber¬<lb/> ſiedelung ſeines Vaters nach Berlin zu bewirken. Durchdrun¬<lb/> gen von dem Wunſche, ſeine Freunde von dem drohenden Ver¬<lb/> derben zu erretten, griff er in ſeine Rocktaſche, und fand darin<lb/> ein Stuͤck von den geweihten Staͤben, welches er als ein Amulet<lb/> bei ſich trug. Mit dieſem Hoͤlzchen glaubte er das Haus eines<lb/> Freundes ſegnen, und dadurch vor der Zerſtoͤrung ſchuͤtzen zu koͤn¬<lb/> nen; er nahm es daher in die Hand, ſchritt am Hauſe voruͤber,<lb/> und murmelte dabei die Worte: „Im Namen Gottes des Va¬<lb/> ters, des Sohnes und des heiligen Geiſtes, Amen”; dies brachte<lb/> ihn ganz einfach auf den Gedanken, auch andere Haͤuſer auf gleiche<lb/> Weiſe gegen den Untergang zu ſichern, weshalb er zunaͤchſt einige<lb/> Kirchen mit jenem Spruch glaͤubig umwandelte, und hierauf nach<lb/> der Charite' ſich begab, welche wegen der vielen Kranken und<lb/> Nothleidenden in ihr ſeine Theilnahme erweckte. Hier betete er<lb/> ein Vaterunſer, trank von Durſt gequaͤlt aus einem Brunnen,<lb/> welchen er gleichfalls ſegnete, weihte hierauf das Invalidenhaus,<lb/> um die betagten Krieger in demſelben von dem Feuertode zu ret¬<lb/> ten, und vollzog noch eine Menge aͤhnlicher Weihen an mehreren<lb/> oͤffentlichen Gebaͤuden und Privatwohnungen, worauf er um 10<lb/> Uhr in ſeine Wohnung zuruͤckkehrte.</p><lb/> <p>Am naͤchſten Tage erfolgte ſeine Aufnahme in die Charite',<lb/> woſelbſt er zuvoͤrderſt in die Abtheilung fuͤr innere Kranke ge¬<lb/> bracht wurde, weil in der Eile keine aͤrztlichen Zeugniſſe, wie ſie<lb/> fuͤr die Reception in die Irrenabtheilung geſetzlich erforderlich ſind,<lb/> hatten herbeigeſchafft werden koͤnnen. Auch hier weigerte er ſich<lb/> hartnaͤckig, Speiſen zu genießen, indem er glaubte, daß der liebe<lb/> Gott, welcher die Herzen lenke, ihm andere und beſſere Speiſen<lb/> geben werde, in welchem Glauben er ſich noch vollkommen kraͤf¬<lb/> tig und immer noch bis oben an voll fuͤhlte. Selbſt ein herbei¬<lb/> gerufener Prediger, welcher durch Ermahnungen ihn zu einer<lb/> Sinnesaͤnderung zu bewegen ſuchte, richtete Nichts aus, und es<lb/> mußte daher die in ſolchen Faͤllen allein uͤbrig bleibende Huͤlſe<lb/> in Anwendung kommen, ihm wiederholt eine elaſtiſche Roͤhre<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [36/0044]
der Welt erwartete, ſo machte er ſich darauf gefaßt, daß das
Strafgericht Gottes demnaͤchſt uͤber Berlin hereinbrechen, und
letzteres in Flammen aufgehen werde.
Dieſe Vorſtellung beherrſchte ihn beſonders am Nachmittage,
als er einen Rock verkaufen wollte, um mit dem Erloͤs die Ueber¬
ſiedelung ſeines Vaters nach Berlin zu bewirken. Durchdrun¬
gen von dem Wunſche, ſeine Freunde von dem drohenden Ver¬
derben zu erretten, griff er in ſeine Rocktaſche, und fand darin
ein Stuͤck von den geweihten Staͤben, welches er als ein Amulet
bei ſich trug. Mit dieſem Hoͤlzchen glaubte er das Haus eines
Freundes ſegnen, und dadurch vor der Zerſtoͤrung ſchuͤtzen zu koͤn¬
nen; er nahm es daher in die Hand, ſchritt am Hauſe voruͤber,
und murmelte dabei die Worte: „Im Namen Gottes des Va¬
ters, des Sohnes und des heiligen Geiſtes, Amen”; dies brachte
ihn ganz einfach auf den Gedanken, auch andere Haͤuſer auf gleiche
Weiſe gegen den Untergang zu ſichern, weshalb er zunaͤchſt einige
Kirchen mit jenem Spruch glaͤubig umwandelte, und hierauf nach
der Charite' ſich begab, welche wegen der vielen Kranken und
Nothleidenden in ihr ſeine Theilnahme erweckte. Hier betete er
ein Vaterunſer, trank von Durſt gequaͤlt aus einem Brunnen,
welchen er gleichfalls ſegnete, weihte hierauf das Invalidenhaus,
um die betagten Krieger in demſelben von dem Feuertode zu ret¬
ten, und vollzog noch eine Menge aͤhnlicher Weihen an mehreren
oͤffentlichen Gebaͤuden und Privatwohnungen, worauf er um 10
Uhr in ſeine Wohnung zuruͤckkehrte.
Am naͤchſten Tage erfolgte ſeine Aufnahme in die Charite',
woſelbſt er zuvoͤrderſt in die Abtheilung fuͤr innere Kranke ge¬
bracht wurde, weil in der Eile keine aͤrztlichen Zeugniſſe, wie ſie
fuͤr die Reception in die Irrenabtheilung geſetzlich erforderlich ſind,
hatten herbeigeſchafft werden koͤnnen. Auch hier weigerte er ſich
hartnaͤckig, Speiſen zu genießen, indem er glaubte, daß der liebe
Gott, welcher die Herzen lenke, ihm andere und beſſere Speiſen
geben werde, in welchem Glauben er ſich noch vollkommen kraͤf¬
tig und immer noch bis oben an voll fuͤhlte. Selbſt ein herbei¬
gerufener Prediger, welcher durch Ermahnungen ihn zu einer
Sinnesaͤnderung zu bewegen ſuchte, richtete Nichts aus, und es
mußte daher die in ſolchen Faͤllen allein uͤbrig bleibende Huͤlſe
in Anwendung kommen, ihm wiederholt eine elaſtiſche Roͤhre
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