Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.durch den Mund bis in den Schlund einzuführen, und ihm durch Nachdem durch hinreichende Beobachtung sein Gemüthslei¬ durch den Mund bis in den Schlund einzufuͤhren, und ihm durch Nachdem durch hinreichende Beobachtung ſein Gemuͤthslei¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0045" n="37"/> durch den Mund bis in den Schlund einzufuͤhren, und ihm durch<lb/> dieſelbe eine hinreichende Menge von kraͤftiger Fleiſchbruͤhe einzu¬<lb/> floͤßen, um ihn gegen den Hungertod zu ſchuͤtzen. Es kraͤnkte<lb/> ihn tief, daß auf dieſe Weiſe ſein Vorſatz, bis zur Ausſoͤhnung<lb/> ſeiner Geſchwiſter zu faſten, vereitelt wurde, ja er glaubte ſelbſt<lb/> darin einen neuen Angriff des Teufels, welcher ihm uͤberall mit<lb/> Gewalt entgegentrat, erblicken zu muͤſſen; indeß theils meinte er,<lb/> wie Chriſtus viele Leiden und Anfechtungen erdulden zu muͤſſen,<lb/> theils troͤſtete er ſich, daß die erzwungene Uebertretung ſeiner ver¬<lb/> meintlichen Pflicht ihm nicht zur Schuld angerechnet werden koͤnne,<lb/> da ihm die Nahrung aufgedrungen werde. Immer noch mit der<lb/> Vorſtellung von dem nahen Untergange Berlins beſchaͤftigt,<lb/> glaubte er in der naͤchſten Nacht Feuerlaͤrm zu hoͤren, welches ihm<lb/> die Furcht einfloͤßte, daß auch die Charité bald von den Flammen<lb/> werde ergriffen werden, weshalb er inbruͤnſtig zu Gott um Erret¬<lb/> tung der Kranken flehte, damit dieſelben nicht unvorbereitet den<lb/> Tod der Suͤnder im Feuer ſtuͤrben, und der ewigen Verdammniß<lb/> anheimfielen. Uebrigens fand er ſich bald in ſeine neue Lage,<lb/> uͤberzeugt, daß dieſelbe eine Schickung von Gott ſei.</p><lb/> <p>Nachdem durch hinreichende Beobachtung ſein Gemuͤthslei¬<lb/> den beſtaͤtigt worden war, erfolgte ſeine Verſetzung in die Irren¬<lb/> abtheilung, woſelbſt er ganz in ſich gekehrt und hoͤchſt wortkarg<lb/> nur ſehr mangelhafte, einſylbige Antworten gab, durch welche<lb/> blos das eigentliche Motiv ſeiner immer noch hartnaͤckigen Weige¬<lb/> rung, Speiſen zu genießen, ermittelt werden konnte. Es mußte<lb/> natuͤrlich mit dem Einfloͤßen von Fleiſchbruͤhe durch eine elaſtiſche<lb/> Roͤhre in den naͤchſten Tagen fortgefahren werden; als ihm in¬<lb/> deß die Nachricht gebracht wurde, daß ſeine Familie zum gemein¬<lb/> ſamen Genuß des Abendmahls bewogen, und dadurch ihre Ver¬<lb/> ſoͤhnung zu Stande gebracht worden ſei, glaubte er ſein Geluͤbde<lb/> treu erfuͤllt, dadurch die Erhoͤrung ſeines Gebets von Gott er¬<lb/> langt zu haben, und fing daher an, freiwillig die ihm dargebo¬<lb/> tenen Speiſen zu genießen, obgleich er immer noch einen Wider¬<lb/> willen dagegen empfand. Ungeachtet meiner dringendſten Ge¬<lb/> genvorſtellungen nahm ſein Vater, nicht unwahrſcheinlich aus Ei¬<lb/> gennutz, ihn zu ſich zuruͤck, und geſtattete ihm, ſchon nach we¬<lb/> nigen Tagen wieder in ſeine fruͤheren Verhaͤltniſſe zuruͤckzutreten.<lb/> Mehrere Tage arbeitete er auch wirklich recht eifrig, indeß die haͤu¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [37/0045]
durch den Mund bis in den Schlund einzufuͤhren, und ihm durch
dieſelbe eine hinreichende Menge von kraͤftiger Fleiſchbruͤhe einzu¬
floͤßen, um ihn gegen den Hungertod zu ſchuͤtzen. Es kraͤnkte
ihn tief, daß auf dieſe Weiſe ſein Vorſatz, bis zur Ausſoͤhnung
ſeiner Geſchwiſter zu faſten, vereitelt wurde, ja er glaubte ſelbſt
darin einen neuen Angriff des Teufels, welcher ihm uͤberall mit
Gewalt entgegentrat, erblicken zu muͤſſen; indeß theils meinte er,
wie Chriſtus viele Leiden und Anfechtungen erdulden zu muͤſſen,
theils troͤſtete er ſich, daß die erzwungene Uebertretung ſeiner ver¬
meintlichen Pflicht ihm nicht zur Schuld angerechnet werden koͤnne,
da ihm die Nahrung aufgedrungen werde. Immer noch mit der
Vorſtellung von dem nahen Untergange Berlins beſchaͤftigt,
glaubte er in der naͤchſten Nacht Feuerlaͤrm zu hoͤren, welches ihm
die Furcht einfloͤßte, daß auch die Charité bald von den Flammen
werde ergriffen werden, weshalb er inbruͤnſtig zu Gott um Erret¬
tung der Kranken flehte, damit dieſelben nicht unvorbereitet den
Tod der Suͤnder im Feuer ſtuͤrben, und der ewigen Verdammniß
anheimfielen. Uebrigens fand er ſich bald in ſeine neue Lage,
uͤberzeugt, daß dieſelbe eine Schickung von Gott ſei.
Nachdem durch hinreichende Beobachtung ſein Gemuͤthslei¬
den beſtaͤtigt worden war, erfolgte ſeine Verſetzung in die Irren¬
abtheilung, woſelbſt er ganz in ſich gekehrt und hoͤchſt wortkarg
nur ſehr mangelhafte, einſylbige Antworten gab, durch welche
blos das eigentliche Motiv ſeiner immer noch hartnaͤckigen Weige¬
rung, Speiſen zu genießen, ermittelt werden konnte. Es mußte
natuͤrlich mit dem Einfloͤßen von Fleiſchbruͤhe durch eine elaſtiſche
Roͤhre in den naͤchſten Tagen fortgefahren werden; als ihm in¬
deß die Nachricht gebracht wurde, daß ſeine Familie zum gemein¬
ſamen Genuß des Abendmahls bewogen, und dadurch ihre Ver¬
ſoͤhnung zu Stande gebracht worden ſei, glaubte er ſein Geluͤbde
treu erfuͤllt, dadurch die Erhoͤrung ſeines Gebets von Gott er¬
langt zu haben, und fing daher an, freiwillig die ihm dargebo¬
tenen Speiſen zu genießen, obgleich er immer noch einen Wider¬
willen dagegen empfand. Ungeachtet meiner dringendſten Ge¬
genvorſtellungen nahm ſein Vater, nicht unwahrſcheinlich aus Ei¬
gennutz, ihn zu ſich zuruͤck, und geſtattete ihm, ſchon nach we¬
nigen Tagen wieder in ſeine fruͤheren Verhaͤltniſſe zuruͤckzutreten.
Mehrere Tage arbeitete er auch wirklich recht eifrig, indeß die haͤu¬
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