Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.Haus niederzuckenden Blitzstrahl zu sehen. Entsetzt glaubte er, Nach seiner am 12. Juli 1845 erfolgten Wiederauf¬ Haus niederzuckenden Blitzſtrahl zu ſehen. Entſetzt glaubte er, Nach ſeiner am 12. Juli 1845 erfolgten Wiederauf¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0049" n="41"/> Haus niederzuckenden Blitzſtrahl zu ſehen. Entſetzt glaubte er,<lb/> die Zeit ſei gekommen, wo Berlin in Flammen aufgehen<lb/> werde, und er warf ſich auf die Kniee, um das goͤttliche<lb/> Erbarmen fuͤr alle Glaͤubige anzuflehen. Bei einer anderen<lb/> Gelegenheit riß er ſich in ſeiner Angſt die Kleider vom Leibe,<lb/> und als er zugleich ein ſtetes Klopfen hoͤrte, war er uͤber¬<lb/> zeugt, daß der Teufel vor dem Hauſe ein Geruͤſt aufrichte,<lb/> um ihn durch daſſelbe am Entfliehen zu verhindern und zu<lb/> zerreißen. In großer Beſtuͤrzung kleidete er ſich eilig wieder<lb/> an, und verlangte ſogar von ſeinem Bruder, daß derſelbe<lb/> ſich gemeinſchaftlich mit ihm in dieſelben Kleider ſtecken ſolle.</p><lb/> <p>Nach ſeiner am 12. Juli 1845 erfolgten Wiederauf¬<lb/> nahme in die Charité war er in ein tiefes und regungsloſes<lb/> Schweigen verſunken, welches jede Unterredung mit ihm un¬<lb/> moͤglich machte; er achtete weder auf die ihm vorgelegten Fra¬<lb/> gen, noch auf ſeine Umgebungen, ſondern ſtierte in voͤlliger<lb/> Geiſtesabweſenheit vor ſich hin. Es war dies der Zuſtand<lb/> von gaͤnzlicher Concentration der geſammten Geiſtesthaͤtigkeit<lb/> auf Einen Gegenſtand, wie er bei den Anachoreten und ſpaͤ¬<lb/> teren Einſiedlern oft genug vorgekommen iſt, welche, ganz in<lb/> ihre religioͤſen Contemplationen vertieft, der Außenwelt ſo voͤl¬<lb/> lig mit ihrem Bewußtſein entfremdet waren, daß ſie auf<lb/> Nichts um ſich her achteten. Zuvoͤrderſt mußte durch das Ein¬<lb/> floͤßen von Bouillon mit Huͤlfe einer elaſtiſchen Roͤhre der Ge¬<lb/> fahr eines Hungertodes vorgebeugt werden, und es war dieſe<lb/> erzwungene Ernaͤhrung 6 Tage hindurch erforderlich, ehe er<lb/> ſich zum freiwilligen Genuß der Speiſen bequemte. Theils<lb/> glaubte er, man wolle ihn erſticken, weil durch das Einbrin¬<lb/> gen der Roͤhre in den Schlund das Athemholen ein wenig<lb/> beeintraͤchtigt wurde, in welche Vorſtellung er ſich jedoch<lb/> mit Ergebung in den Willen Gottes fuͤgte, nach welchem er<lb/> in die Charité zuruͤckgebracht worden ſei; theils ſetzte er aber<lb/> auch voraus, der Teufel habe den Aerzten befohlen, ihn durch<lb/> Einfloͤßen von Nahrung zum Bruch ſeines Geluͤbdes zu zwin¬<lb/> gen, in welchem er ſich durch den Spruch zu beſtaͤrken ſuchte,<lb/> daß er Berge verſetzen koͤnne, wenn er den rechten Glauben<lb/> habe. — Zugleich war es aber dringend nothwendig, durch<lb/> eine heilſame Erſchuͤtterung des Nervenſyſtems mit Huͤlfe der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [41/0049]
Haus niederzuckenden Blitzſtrahl zu ſehen. Entſetzt glaubte er,
die Zeit ſei gekommen, wo Berlin in Flammen aufgehen
werde, und er warf ſich auf die Kniee, um das goͤttliche
Erbarmen fuͤr alle Glaͤubige anzuflehen. Bei einer anderen
Gelegenheit riß er ſich in ſeiner Angſt die Kleider vom Leibe,
und als er zugleich ein ſtetes Klopfen hoͤrte, war er uͤber¬
zeugt, daß der Teufel vor dem Hauſe ein Geruͤſt aufrichte,
um ihn durch daſſelbe am Entfliehen zu verhindern und zu
zerreißen. In großer Beſtuͤrzung kleidete er ſich eilig wieder
an, und verlangte ſogar von ſeinem Bruder, daß derſelbe
ſich gemeinſchaftlich mit ihm in dieſelben Kleider ſtecken ſolle.
Nach ſeiner am 12. Juli 1845 erfolgten Wiederauf¬
nahme in die Charité war er in ein tiefes und regungsloſes
Schweigen verſunken, welches jede Unterredung mit ihm un¬
moͤglich machte; er achtete weder auf die ihm vorgelegten Fra¬
gen, noch auf ſeine Umgebungen, ſondern ſtierte in voͤlliger
Geiſtesabweſenheit vor ſich hin. Es war dies der Zuſtand
von gaͤnzlicher Concentration der geſammten Geiſtesthaͤtigkeit
auf Einen Gegenſtand, wie er bei den Anachoreten und ſpaͤ¬
teren Einſiedlern oft genug vorgekommen iſt, welche, ganz in
ihre religioͤſen Contemplationen vertieft, der Außenwelt ſo voͤl¬
lig mit ihrem Bewußtſein entfremdet waren, daß ſie auf
Nichts um ſich her achteten. Zuvoͤrderſt mußte durch das Ein¬
floͤßen von Bouillon mit Huͤlfe einer elaſtiſchen Roͤhre der Ge¬
fahr eines Hungertodes vorgebeugt werden, und es war dieſe
erzwungene Ernaͤhrung 6 Tage hindurch erforderlich, ehe er
ſich zum freiwilligen Genuß der Speiſen bequemte. Theils
glaubte er, man wolle ihn erſticken, weil durch das Einbrin¬
gen der Roͤhre in den Schlund das Athemholen ein wenig
beeintraͤchtigt wurde, in welche Vorſtellung er ſich jedoch
mit Ergebung in den Willen Gottes fuͤgte, nach welchem er
in die Charité zuruͤckgebracht worden ſei; theils ſetzte er aber
auch voraus, der Teufel habe den Aerzten befohlen, ihn durch
Einfloͤßen von Nahrung zum Bruch ſeines Geluͤbdes zu zwin¬
gen, in welchem er ſich durch den Spruch zu beſtaͤrken ſuchte,
daß er Berge verſetzen koͤnne, wenn er den rechten Glauben
habe. — Zugleich war es aber dringend nothwendig, durch
eine heilſame Erſchuͤtterung des Nervenſyſtems mit Huͤlfe der
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