Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.Douche ihn aus der Welt des Wahns in die Wirklichkeit zu¬ Schon nach 3 Wochen war seine Besserung so weit fort¬ Douche ihn aus der Welt des Wahns in die Wirklichkeit zu¬ Schon nach 3 Wochen war ſeine Beſſerung ſo weit fort¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0050" n="42"/> Douche ihn aus der Welt des Wahns in die Wirklichkeit zu¬<lb/> ruͤckzurufen, ihn gleichſam aus ſeinem wachen Traum aufzu¬<lb/> wecken. Es geſchah dies auch mit ſo guͤnſtigem Erfolge, daß<lb/> er bald die innere Angſt verlor, und ſich uͤber ſeine Lage zu<lb/> beſinnen anfing, indem ſich zugleich ein ruhiger Schlaf ein¬<lb/> ſtellte. Er bezog dieſe heilſame Veraͤnderung ſelbſt ſo be¬<lb/> ſtimmt auf die Douche, daß er in ſpaͤterer Zeit wiederholt<lb/> um ihre Anwendung bat, wenn er von Viſionen ſehr belaͤ¬<lb/> ſtigt wurde, welches beſonders dann der Fall war, wenn er<lb/> reichlich Speiſen genoſſen hatte, deren Menge zu beſchraͤnken<lb/> er dann ſelbſt fuͤr nothwendig hielt.</p><lb/> <p>Schon nach 3 Wochen war ſeine Beſſerung ſo weit fort¬<lb/> geſchritten, daß er durch freiwilligen Genuß der dargebotenen<lb/> Nahrung ſeine durch Faſten, leidenſchaftliche Aufregung und<lb/> Schlafloſigkeit erſchoͤpften Kraͤfte voͤllig wiedererlangte, und<lb/> ſomit in den Stand geſetzt wurde, mit den uͤbrigen reconva¬<lb/> leſcirenden Geiſteskranken an den uͤblichen geiſtigen und koͤr¬<lb/> perlichen Beſchaͤftigungen Theil zu nehmen. Die Vorzuͤge ſei¬<lb/> nes ſittlichen Charakters bewaͤhrten ſich auch jetzt durch ſein<lb/> muſterhaftes Betragen, namentlich durch ſeine Bereitwilligkeit,<lb/> ſich daruͤber aufklaͤren zu laſſen, daß das Uebermaaß ſeiner<lb/> durch uͤbertriebene Andachtsuͤbungen erhitzten Froͤmmigkeit die<lb/> weſentliche Urſache ſeiner Seelenleiden geworden war, deren<lb/> verderbliche Folgen auch ihm einleuchteten. Weniger gelang es<lb/> mir indeß, ihm begreiflich zu machen, daß er wohl daran<lb/> thun werde, ſich mit der Erklaͤrung der Bibel, wie ſie ihm<lb/> in den Predigten aufgeklaͤrter Geiſtlichen dargeboten werde,<lb/> zu begnuͤgen, und ſich alles Forſchens in derſelben zu ent¬<lb/> halten, wobei er leicht wieder auf ſchlimme Abwege gerathen<lb/> koͤnne; die Ueberzeugung, daß das Leſen der Bibel heilige<lb/> Pflicht eines jeden Chriſten ſei, war bei ihm zu tief gewur¬<lb/> zelt, als daß er ſich davon haͤtte losſagen wollen. Auch die<lb/> naͤchtlichen Hallucinationen gehoͤrten gewiſſermaaßen zu ſeinem<lb/> Naturell, deſſen gaͤnzliche Umwandlung binnen einiger Mo¬<lb/> nate nicht zu Stande gebracht werden konnte; indeß verloren<lb/> ſie ganz ihren beunruhigenden Charakter, ſo daß er nicht wei¬<lb/> ter auf ſie achtete. Nach Ablauf von 8 Monaten forderte ſein<lb/> Vater abermals ſeine Entlaſſung, welche geſetzlich nicht ver¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [42/0050]
Douche ihn aus der Welt des Wahns in die Wirklichkeit zu¬
ruͤckzurufen, ihn gleichſam aus ſeinem wachen Traum aufzu¬
wecken. Es geſchah dies auch mit ſo guͤnſtigem Erfolge, daß
er bald die innere Angſt verlor, und ſich uͤber ſeine Lage zu
beſinnen anfing, indem ſich zugleich ein ruhiger Schlaf ein¬
ſtellte. Er bezog dieſe heilſame Veraͤnderung ſelbſt ſo be¬
ſtimmt auf die Douche, daß er in ſpaͤterer Zeit wiederholt
um ihre Anwendung bat, wenn er von Viſionen ſehr belaͤ¬
ſtigt wurde, welches beſonders dann der Fall war, wenn er
reichlich Speiſen genoſſen hatte, deren Menge zu beſchraͤnken
er dann ſelbſt fuͤr nothwendig hielt.
Schon nach 3 Wochen war ſeine Beſſerung ſo weit fort¬
geſchritten, daß er durch freiwilligen Genuß der dargebotenen
Nahrung ſeine durch Faſten, leidenſchaftliche Aufregung und
Schlafloſigkeit erſchoͤpften Kraͤfte voͤllig wiedererlangte, und
ſomit in den Stand geſetzt wurde, mit den uͤbrigen reconva¬
leſcirenden Geiſteskranken an den uͤblichen geiſtigen und koͤr¬
perlichen Beſchaͤftigungen Theil zu nehmen. Die Vorzuͤge ſei¬
nes ſittlichen Charakters bewaͤhrten ſich auch jetzt durch ſein
muſterhaftes Betragen, namentlich durch ſeine Bereitwilligkeit,
ſich daruͤber aufklaͤren zu laſſen, daß das Uebermaaß ſeiner
durch uͤbertriebene Andachtsuͤbungen erhitzten Froͤmmigkeit die
weſentliche Urſache ſeiner Seelenleiden geworden war, deren
verderbliche Folgen auch ihm einleuchteten. Weniger gelang es
mir indeß, ihm begreiflich zu machen, daß er wohl daran
thun werde, ſich mit der Erklaͤrung der Bibel, wie ſie ihm
in den Predigten aufgeklaͤrter Geiſtlichen dargeboten werde,
zu begnuͤgen, und ſich alles Forſchens in derſelben zu ent¬
halten, wobei er leicht wieder auf ſchlimme Abwege gerathen
koͤnne; die Ueberzeugung, daß das Leſen der Bibel heilige
Pflicht eines jeden Chriſten ſei, war bei ihm zu tief gewur¬
zelt, als daß er ſich davon haͤtte losſagen wollen. Auch die
naͤchtlichen Hallucinationen gehoͤrten gewiſſermaaßen zu ſeinem
Naturell, deſſen gaͤnzliche Umwandlung binnen einiger Mo¬
nate nicht zu Stande gebracht werden konnte; indeß verloren
ſie ganz ihren beunruhigenden Charakter, ſo daß er nicht wei¬
ter auf ſie achtete. Nach Ablauf von 8 Monaten forderte ſein
Vater abermals ſeine Entlaſſung, welche geſetzlich nicht ver¬
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