Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.ihm die Theilnahme an der nächsten Abendmahlsfeier versagte Was ist überhaupt für einen mehr heißen als erleuchte¬ ihm die Theilnahme an der naͤchſten Abendmahlsfeier verſagte Was iſt uͤberhaupt fuͤr einen mehr heißen als erleuchte¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0056" n="48"/> ihm die Theilnahme an der naͤchſten Abendmahlsfeier verſagte<lb/> (alſo eine wahre Ercommunication), und ihn vor der darauf<lb/> folgenden Communion aufforderte, ſich zuvor mit dem K. aus¬<lb/> zuſoͤhnen. Dazu war indeß W. nicht zu bewegen, welcher<lb/> weit entfernt, ſein Benehmen zu bereuen, daſſelbe vielmehr<lb/> mit Berufung auf Bibelſtellen zu rechtfertigen ſuchte, und es<lb/> durchzuſetzen wußte, daß er, ohne nachgeben zu muͤſſen, an<lb/> dem Abendmahl Theil nehmen konnte.</p><lb/> <p>Was iſt uͤberhaupt fuͤr einen mehr heißen als erleuchte¬<lb/> ten Kopf leichter, als uͤber die Bibel in einen endloſen und<lb/> erbitterten Streit zu gerathen, da ſie das ganze Leben mit<lb/> ſeinem unendlichen Reichthum an Gegenſaͤtzen umfaſſend, ſie<lb/> oft nur mit orakelartiger Kuͤrze beruͤhren kann, weshalb jene<lb/> Gegenſaͤtze, wenn ſie nicht von einem tuͤchtigen Denker in ih¬<lb/> rem inneren organiſchen Zuſammenhange ergriffen werden, in<lb/> ihrem Widerſpruche ſtehen bleiben, und deshalb die Einſeiti¬<lb/> gen zu dem grimmigſten Hader verfeinden. Da W. nicht<lb/> aus innerer Noͤthigung eines urſpruͤnglichen Glaubensbeduͤrf¬<lb/> niſſes zu den Wiedertaͤufern uͤbergetreten, ſondern nur durch<lb/> eine erzwungene Aufregung myſtiſcher Gefuͤhle faſt gewaltſam<lb/> zu ihnen hingezogen war; ſo ſchloß ſein Bund mit ihnen<lb/> ſchon von vorn herein alle Elemente der Zwietracht in ſich,<lb/> welche durch taͤgliche Zaͤnkereien noch mehr genaͤhrt wurden,<lb/> und ihn zu einer Streitſucht herausforderten, welche bei den<lb/> mannigfachſten Gelegenheiten zum Ausbruch kam. Es war<lb/> ihm unſtreitig Ernſt mit ſeinem Glaubenseifer, da ſein ent¬<lb/> ſchiedener Charakter Nichts nur zur Haͤlfte ergreift; daher for¬<lb/> derte er, daß dem Evangelium im rigoriſtiſchem Sinne nach¬<lb/> gelebt werden ſolle; z. B. verlangte er, daß das Brot beim<lb/> Abendmahl nicht geſchnitten, ſondern gebrochen werden muͤſſe,<lb/> weil Chriſtus es ſo gethan habe; daß die Ceremonie des Fu߬<lb/> waſchens eingefuͤhrt werde, da Chriſtus zu Petrus geſagt habe:<lb/> „So nun Ich, Euer Herr und Meiſter, Euch die Fuͤße ge¬<lb/> waſchen habe, ſo ſollt Ihr auch Euch unter einander die Fuͤße<lb/> waſchen.” (Evang. Joh. 13, V. 14.). Natuͤrlich ſetzte dieſe<lb/> buchſtaͤbliche Bibelauslegung wieder tuͤchtigen Streit, welcher<lb/> faſt gar kein Ende nahm.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [48/0056]
ihm die Theilnahme an der naͤchſten Abendmahlsfeier verſagte
(alſo eine wahre Ercommunication), und ihn vor der darauf
folgenden Communion aufforderte, ſich zuvor mit dem K. aus¬
zuſoͤhnen. Dazu war indeß W. nicht zu bewegen, welcher
weit entfernt, ſein Benehmen zu bereuen, daſſelbe vielmehr
mit Berufung auf Bibelſtellen zu rechtfertigen ſuchte, und es
durchzuſetzen wußte, daß er, ohne nachgeben zu muͤſſen, an
dem Abendmahl Theil nehmen konnte.
Was iſt uͤberhaupt fuͤr einen mehr heißen als erleuchte¬
ten Kopf leichter, als uͤber die Bibel in einen endloſen und
erbitterten Streit zu gerathen, da ſie das ganze Leben mit
ſeinem unendlichen Reichthum an Gegenſaͤtzen umfaſſend, ſie
oft nur mit orakelartiger Kuͤrze beruͤhren kann, weshalb jene
Gegenſaͤtze, wenn ſie nicht von einem tuͤchtigen Denker in ih¬
rem inneren organiſchen Zuſammenhange ergriffen werden, in
ihrem Widerſpruche ſtehen bleiben, und deshalb die Einſeiti¬
gen zu dem grimmigſten Hader verfeinden. Da W. nicht
aus innerer Noͤthigung eines urſpruͤnglichen Glaubensbeduͤrf¬
niſſes zu den Wiedertaͤufern uͤbergetreten, ſondern nur durch
eine erzwungene Aufregung myſtiſcher Gefuͤhle faſt gewaltſam
zu ihnen hingezogen war; ſo ſchloß ſein Bund mit ihnen
ſchon von vorn herein alle Elemente der Zwietracht in ſich,
welche durch taͤgliche Zaͤnkereien noch mehr genaͤhrt wurden,
und ihn zu einer Streitſucht herausforderten, welche bei den
mannigfachſten Gelegenheiten zum Ausbruch kam. Es war
ihm unſtreitig Ernſt mit ſeinem Glaubenseifer, da ſein ent¬
ſchiedener Charakter Nichts nur zur Haͤlfte ergreift; daher for¬
derte er, daß dem Evangelium im rigoriſtiſchem Sinne nach¬
gelebt werden ſolle; z. B. verlangte er, daß das Brot beim
Abendmahl nicht geſchnitten, ſondern gebrochen werden muͤſſe,
weil Chriſtus es ſo gethan habe; daß die Ceremonie des Fu߬
waſchens eingefuͤhrt werde, da Chriſtus zu Petrus geſagt habe:
„So nun Ich, Euer Herr und Meiſter, Euch die Fuͤße ge¬
waſchen habe, ſo ſollt Ihr auch Euch unter einander die Fuͤße
waſchen.” (Evang. Joh. 13, V. 14.). Natuͤrlich ſetzte dieſe
buchſtaͤbliche Bibelauslegung wieder tuͤchtigen Streit, welcher
faſt gar kein Ende nahm.
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