er sich glücklich in der Ueberzeugung, durch sie nunmehr der Seeligkeit gewiß geworden zu sein.
Jedoch es sollte ihm nicht so wohl werden, sich lange Zeit des vermeintlich gewonnenen Heils erfreuen zu können. Seine übertriebenen Andachtsübungen, zumal ein häufiges Bibellesen während der Arbeit, erhielten ihn in einer überaus reizbaren Stimmung, welche oft in üble Laune überging, wenn seine neuen Glaubensgenossen ihn besuchten, um ihn über seine Fortschritte in der Frömmigkeit auszuforschen, und ihn aufforderten, reuig in sich zu gehen, um jede noch übrig gebliebene Herzenshärtigkeit aufzuspüren und zu vertilgen. Daß es dabei nicht ohne Streit, animose Anspielungen und mannigfache Retorsionen abging, läßt sich leicht denken, da eine sittliche Censur, wenn sie von gewöhnlichen Menschen ausgeübt wird, welche sich selbst viel zu wenig kennen, als daß sie die Moralität Anderer richtig beurtheilen könnten, nur allzuleicht gehässige, egoistische Nebenabsichten in sich schließt, und dadurch im höchsten Grade kränken, erbittern, verletzen muß. Vorzüglich kam es aber zum Bruch zwischen W. und seinen Glaubensgenossen, als er der unter ihnen bestehenden Sitte gemäß die kranke Ehefrau eines gewissen K. besuchte, um ihr Trost einzusprechen und ihr seine Theilnahme zu be¬ zeugen. Dabei knüpfte er mit dem K. ein Gespräch über Bibelstellen an, und berief sich unter anderem auf einen Vers, in welchem Christus von dem durch ihn dem Men¬ schengeschlecht verliehenen Frieden spricht. K. verneinte die Gültigkeit dieses Ausspruchs mit Hindeutung auf die aus¬ drückliche Erklärung Christi, daß er das Schwert in die Welt gebracht habe, und erzürnte dadurch den W. dergestalt, daß dieser ausrief: "Sie lügen", von jenem aber die richtige Ge¬ genbemerkung hören mußte: "Lieber Bruder, haben Sie denn den Frieden?" Höchst aufgebracht entfernte sich W., und ein¬ gedenk, daß Christus seinen Jüngern rieth, sie sollten den Staub von den Füßen schütteln, wenn sie irgendwo übel auf¬ genommen würden, that er das Gleiche beim Weggehen, und fühlte sich dadurch in seinem Innern erleichtert und beruhigt. Hierauf theilte er den ganzen Vorgang dem Vorsteher der Gemeinde mit, welcher ihm einen derben Verweis ertheilte,
er ſich gluͤcklich in der Ueberzeugung, durch ſie nunmehr der Seeligkeit gewiß geworden zu ſein.
Jedoch es ſollte ihm nicht ſo wohl werden, ſich lange Zeit des vermeintlich gewonnenen Heils erfreuen zu koͤnnen. Seine uͤbertriebenen Andachtsuͤbungen, zumal ein haͤufiges Bibelleſen waͤhrend der Arbeit, erhielten ihn in einer uͤberaus reizbaren Stimmung, welche oft in uͤble Laune uͤberging, wenn ſeine neuen Glaubensgenoſſen ihn beſuchten, um ihn uͤber ſeine Fortſchritte in der Froͤmmigkeit auszuforſchen, und ihn aufforderten, reuig in ſich zu gehen, um jede noch uͤbrig gebliebene Herzenshaͤrtigkeit aufzuſpuͤren und zu vertilgen. Daß es dabei nicht ohne Streit, animoſe Anſpielungen und mannigfache Retorſionen abging, laͤßt ſich leicht denken, da eine ſittliche Cenſur, wenn ſie von gewoͤhnlichen Menſchen ausgeuͤbt wird, welche ſich ſelbſt viel zu wenig kennen, als daß ſie die Moralitaͤt Anderer richtig beurtheilen koͤnnten, nur allzuleicht gehaͤſſige, egoiſtiſche Nebenabſichten in ſich ſchließt, und dadurch im hoͤchſten Grade kraͤnken, erbittern, verletzen muß. Vorzuͤglich kam es aber zum Bruch zwiſchen W. und ſeinen Glaubensgenoſſen, als er der unter ihnen beſtehenden Sitte gemaͤß die kranke Ehefrau eines gewiſſen K. beſuchte, um ihr Troſt einzuſprechen und ihr ſeine Theilnahme zu be¬ zeugen. Dabei knuͤpfte er mit dem K. ein Geſpraͤch uͤber Bibelſtellen an, und berief ſich unter anderem auf einen Vers, in welchem Chriſtus von dem durch ihn dem Men¬ ſchengeſchlecht verliehenen Frieden ſpricht. K. verneinte die Guͤltigkeit dieſes Ausſpruchs mit Hindeutung auf die aus¬ druͤckliche Erklaͤrung Chriſti, daß er das Schwert in die Welt gebracht habe, und erzuͤrnte dadurch den W. dergeſtalt, daß dieſer ausrief: „Sie luͤgen”, von jenem aber die richtige Ge¬ genbemerkung hoͤren mußte: „Lieber Bruder, haben Sie denn den Frieden?” Hoͤchſt aufgebracht entfernte ſich W., und ein¬ gedenk, daß Chriſtus ſeinen Juͤngern rieth, ſie ſollten den Staub von den Fuͤßen ſchuͤtteln, wenn ſie irgendwo uͤbel auf¬ genommen wuͤrden, that er das Gleiche beim Weggehen, und fuͤhlte ſich dadurch in ſeinem Innern erleichtert und beruhigt. Hierauf theilte er den ganzen Vorgang dem Vorſteher der Gemeinde mit, welcher ihm einen derben Verweis ertheilte,
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[47/0055]
er ſich gluͤcklich in der Ueberzeugung, durch ſie nunmehr der
Seeligkeit gewiß geworden zu ſein.
Jedoch es ſollte ihm nicht ſo wohl werden, ſich lange
Zeit des vermeintlich gewonnenen Heils erfreuen zu koͤnnen.
Seine uͤbertriebenen Andachtsuͤbungen, zumal ein haͤufiges
Bibelleſen waͤhrend der Arbeit, erhielten ihn in einer uͤberaus
reizbaren Stimmung, welche oft in uͤble Laune uͤberging,
wenn ſeine neuen Glaubensgenoſſen ihn beſuchten, um ihn
uͤber ſeine Fortſchritte in der Froͤmmigkeit auszuforſchen, und
ihn aufforderten, reuig in ſich zu gehen, um jede noch uͤbrig
gebliebene Herzenshaͤrtigkeit aufzuſpuͤren und zu vertilgen.
Daß es dabei nicht ohne Streit, animoſe Anſpielungen und
mannigfache Retorſionen abging, laͤßt ſich leicht denken, da
eine ſittliche Cenſur, wenn ſie von gewoͤhnlichen Menſchen
ausgeuͤbt wird, welche ſich ſelbſt viel zu wenig kennen, als
daß ſie die Moralitaͤt Anderer richtig beurtheilen koͤnnten,
nur allzuleicht gehaͤſſige, egoiſtiſche Nebenabſichten in ſich ſchließt,
und dadurch im hoͤchſten Grade kraͤnken, erbittern, verletzen
muß. Vorzuͤglich kam es aber zum Bruch zwiſchen W. und
ſeinen Glaubensgenoſſen, als er der unter ihnen beſtehenden
Sitte gemaͤß die kranke Ehefrau eines gewiſſen K. beſuchte,
um ihr Troſt einzuſprechen und ihr ſeine Theilnahme zu be¬
zeugen. Dabei knuͤpfte er mit dem K. ein Geſpraͤch uͤber
Bibelſtellen an, und berief ſich unter anderem auf einen
Vers, in welchem Chriſtus von dem durch ihn dem Men¬
ſchengeſchlecht verliehenen Frieden ſpricht. K. verneinte die
Guͤltigkeit dieſes Ausſpruchs mit Hindeutung auf die aus¬
druͤckliche Erklaͤrung Chriſti, daß er das Schwert in die Welt
gebracht habe, und erzuͤrnte dadurch den W. dergeſtalt, daß
dieſer ausrief: „Sie luͤgen”, von jenem aber die richtige Ge¬
genbemerkung hoͤren mußte: „Lieber Bruder, haben Sie denn
den Frieden?” Hoͤchſt aufgebracht entfernte ſich W., und ein¬
gedenk, daß Chriſtus ſeinen Juͤngern rieth, ſie ſollten den
Staub von den Fuͤßen ſchuͤtteln, wenn ſie irgendwo uͤbel auf¬
genommen wuͤrden, that er das Gleiche beim Weggehen, und
fuͤhlte ſich dadurch in ſeinem Innern erleichtert und beruhigt.
Hierauf theilte er den ganzen Vorgang dem Vorſteher der
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/55>, abgerufen am 18.06.2024.
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