worauf auch die Aeußerungen einiger Mitglieder hindeuteten, daß er sich für einen wahren Messias ausgeben wolle. Sie äußerte daher geradezu gegen ihn, sie wisse nicht, ob sie ver¬ rathen oder verkauft sei, da sie sich überall von Hinterlist umstrickt sähe, deshalb bete sie eifrig zu Gott um Beistand und Erleuchtung über ihr wahres Seelenheil. Ja sie äußerte ganz bestimmt, daß ihr durch die Unlauterkeit des anabaptisti¬ schen Gottesdienstes die Religion zuletzt ganz zuwider gewor¬ den sei; und wenn man hierbei ihre ganze geistige Richtung von Kindheit an ins Auge faßt, so kann es wohl mit keinem stärkeren Ausdrucke bezeichnet werden, daß sie damals mit ih¬ rem heiligsten Interesse ganz zerfallen war. Seit einer Reihe von Jahren war sie also in Widerstreit mit ihrer früheren Denkweise und Gesinnung gekommen, und gleichsam in einer Auflösung ihrer Seelenverfassung begriffen, anstatt in folge¬ rechter Entwickelung derselben fortzuschreiten, daher denn ein solcher Zustand nicht fortdauern konnte, sondern auf irgend eine Weise einen gänzlichen Umschwung erfahren mußte. Sie fühlte dies auch so gut, daß sie mehrmals auf dem Punkte stand, sich von den Wiedertäufern loszureißen; indeß der alle schwärmerischen Secten beherrschende fanatische Geist hielt sie noch viel zu fest umstrickt, als daß sie zu einem festen Ent¬ schlusse kommen konnte, und da mehrere Mitglieder dasselbe von sich aussagten, so sah sie sich gefangen in einer fremden Macht. Besser war es ihrem Freunde, dem Schneider, gelungen, welcher, als er durch den Beschluß von 14 Stimmen excom¬ municirt worden war, und nicht einmal die Namen seiner Gegner erfahren konnte, hiervon Veranlassung nahm, für im¬ mer aus dem Bunde zu scheiden. Indeß diente das fernere Verbleiben unter den Wiedertäufern nur dazu, die W. immer mehr gegen dieselben zu empören, indem sie bei mannigfachen Gelegenheiten die Beweise arger Heuchelei erhielt. Den öf¬ fentlichen Sündenbekenntnissen folgte oft ein Ausbruch frivoler Gesinnung; wirkliche Forderungen des Christenthums, z. B. daß man dem Schuldigen verzeihen solle, wurden geradezu als unausführbar verspottet; häufig wurde das Gewissen durch neue Satzungen beschwert, z. B. durch Aufforderungen zum Fasten, zur Theilnahme an willkürlich angestellten Festen.
worauf auch die Aeußerungen einiger Mitglieder hindeuteten, daß er ſich fuͤr einen wahren Meſſias ausgeben wolle. Sie aͤußerte daher geradezu gegen ihn, ſie wiſſe nicht, ob ſie ver¬ rathen oder verkauft ſei, da ſie ſich uͤberall von Hinterliſt umſtrickt ſaͤhe, deshalb bete ſie eifrig zu Gott um Beiſtand und Erleuchtung uͤber ihr wahres Seelenheil. Ja ſie aͤußerte ganz beſtimmt, daß ihr durch die Unlauterkeit des anabaptiſti¬ ſchen Gottesdienſtes die Religion zuletzt ganz zuwider gewor¬ den ſei; und wenn man hierbei ihre ganze geiſtige Richtung von Kindheit an ins Auge faßt, ſo kann es wohl mit keinem ſtaͤrkeren Ausdrucke bezeichnet werden, daß ſie damals mit ih¬ rem heiligſten Intereſſe ganz zerfallen war. Seit einer Reihe von Jahren war ſie alſo in Widerſtreit mit ihrer fruͤheren Denkweiſe und Geſinnung gekommen, und gleichſam in einer Aufloͤſung ihrer Seelenverfaſſung begriffen, anſtatt in folge¬ rechter Entwickelung derſelben fortzuſchreiten, daher denn ein ſolcher Zuſtand nicht fortdauern konnte, ſondern auf irgend eine Weiſe einen gaͤnzlichen Umſchwung erfahren mußte. Sie fuͤhlte dies auch ſo gut, daß ſie mehrmals auf dem Punkte ſtand, ſich von den Wiedertaͤufern loszureißen; indeß der alle ſchwaͤrmeriſchen Secten beherrſchende fanatiſche Geiſt hielt ſie noch viel zu feſt umſtrickt, als daß ſie zu einem feſten Ent¬ ſchluſſe kommen konnte, und da mehrere Mitglieder daſſelbe von ſich ausſagten, ſo ſah ſie ſich gefangen in einer fremden Macht. Beſſer war es ihrem Freunde, dem Schneider, gelungen, welcher, als er durch den Beſchluß von 14 Stimmen excom¬ municirt worden war, und nicht einmal die Namen ſeiner Gegner erfahren konnte, hiervon Veranlaſſung nahm, fuͤr im¬ mer aus dem Bunde zu ſcheiden. Indeß diente das fernere Verbleiben unter den Wiedertaͤufern nur dazu, die W. immer mehr gegen dieſelben zu empoͤren, indem ſie bei mannigfachen Gelegenheiten die Beweiſe arger Heuchelei erhielt. Den oͤf¬ fentlichen Suͤndenbekenntniſſen folgte oft ein Ausbruch frivoler Geſinnung; wirkliche Forderungen des Chriſtenthums, z. B. daß man dem Schuldigen verzeihen ſolle, wurden geradezu als unausfuͤhrbar verſpottet; haͤufig wurde das Gewiſſen durch neue Satzungen beſchwert, z. B. durch Aufforderungen zum Faſten, zur Theilnahme an willkuͤrlich angeſtellten Feſten.
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worauf auch die Aeußerungen einiger Mitglieder hindeuteten,
daß er ſich fuͤr einen wahren Meſſias ausgeben wolle. Sie
aͤußerte daher geradezu gegen ihn, ſie wiſſe nicht, ob ſie ver¬
rathen oder verkauft ſei, da ſie ſich uͤberall von Hinterliſt
umſtrickt ſaͤhe, deshalb bete ſie eifrig zu Gott um Beiſtand
und Erleuchtung uͤber ihr wahres Seelenheil. Ja ſie aͤußerte
ganz beſtimmt, daß ihr durch die Unlauterkeit des anabaptiſti¬
ſchen Gottesdienſtes die Religion zuletzt ganz zuwider gewor¬
den ſei; und wenn man hierbei ihre ganze geiſtige Richtung
von Kindheit an ins Auge faßt, ſo kann es wohl mit keinem
ſtaͤrkeren Ausdrucke bezeichnet werden, daß ſie damals mit ih¬
rem heiligſten Intereſſe ganz zerfallen war. Seit einer Reihe
von Jahren war ſie alſo in Widerſtreit mit ihrer fruͤheren
Denkweiſe und Geſinnung gekommen, und gleichſam in einer
Aufloͤſung ihrer Seelenverfaſſung begriffen, anſtatt in folge¬
rechter Entwickelung derſelben fortzuſchreiten, daher denn ein
ſolcher Zuſtand nicht fortdauern konnte, ſondern auf irgend
eine Weiſe einen gaͤnzlichen Umſchwung erfahren mußte. Sie
fuͤhlte dies auch ſo gut, daß ſie mehrmals auf dem Punkte
ſtand, ſich von den Wiedertaͤufern loszureißen; indeß der alle
ſchwaͤrmeriſchen Secten beherrſchende fanatiſche Geiſt hielt ſie
noch viel zu feſt umſtrickt, als daß ſie zu einem feſten Ent¬
ſchluſſe kommen konnte, und da mehrere Mitglieder daſſelbe
von ſich ausſagten, ſo ſah ſie ſich gefangen in einer fremden
Macht. Beſſer war es ihrem Freunde, dem Schneider, gelungen,
welcher, als er durch den Beſchluß von 14 Stimmen excom¬
municirt worden war, und nicht einmal die Namen ſeiner
Gegner erfahren konnte, hiervon Veranlaſſung nahm, fuͤr im¬
mer aus dem Bunde zu ſcheiden. Indeß diente das fernere
Verbleiben unter den Wiedertaͤufern nur dazu, die W. immer
mehr gegen dieſelben zu empoͤren, indem ſie bei mannigfachen
Gelegenheiten die Beweiſe arger Heuchelei erhielt. Den oͤf¬
fentlichen Suͤndenbekenntniſſen folgte oft ein Ausbruch frivoler
Geſinnung; wirkliche Forderungen des Chriſtenthums, z. B.
daß man dem Schuldigen verzeihen ſolle, wurden geradezu
als unausfuͤhrbar verſpottet; haͤufig wurde das Gewiſſen durch
neue Satzungen beſchwert, z. B. durch Aufforderungen zum
Faſten, zur Theilnahme an willkuͤrlich angeſtellten Feſten.
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/80>, abgerufen am 18.06.2024.
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