Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.schmerzlich erinnert wurde. Grauen erregende Bilder aus der Inzwischen wuchs ihre Krankheit mit jedem Tage, und ſchmerzlich erinnert wurde. Grauen erregende Bilder aus der Inzwiſchen wuchs ihre Krankheit mit jedem Tage, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0082" n="74"/> ſchmerzlich erinnert wurde. Grauen erregende Bilder aus der<lb/> Vergangenheit geſellten ſich zu den peinlichen Gefuͤhlen, welche<lb/> durch jene Frau erweckt waren, und um ihre Stimmung noch<lb/> krankhafter aufzuregen, quaͤlte einer der Anweſenden ſie mit<lb/> einem fanatiſchen Bekehrungseifer, als ob ſie, dem Tode nahe,<lb/> erſt des wahren Glaubens theilhaftig werden muͤſſe, und hielt<lb/> unaufgefordert lange Gebete fuͤr ihr Seelenheil. Als jene<lb/> Maͤnner ſie verlaſſen hatten, fiel ſie in eine wahre Erſchoͤ¬<lb/> pfung, und ſie war noch am Abende, als ein Wiedertaͤufer ſie<lb/> beſuchte, ſo betaͤubt, daß ſie denſelben Anfangs gar nicht<lb/> kannte. Auf ſeine Veranſtaltung uͤbernahmen einige Wieder¬<lb/> taͤuferinnen abwechſelnd ihre Pflege waͤhrend der naͤchſten Tage,<lb/> und erſt als ihre Krankheit ſich in die Laͤnge zog, blieben jene<lb/> aus, ſo daß ſie ſich ſehr verlaſſen fuͤhlte. Ihrer Huͤlfsloſigkeit<lb/> ſich bewußt, empfand ſie eine große Erbitterung gegen die Wie¬<lb/> dertaͤufer, welche die Krankenpflege zu einer Hauptangelegen¬<lb/> heit ihres Bundes machten, und dieſelbe auch wirklich in ei¬<lb/> nem ziemlich ausgedehnten Maaße ausgeuͤbt zu haben ſcheinen.<lb/> Die Entruͤſtung der W. gegen ſie muß daher aus ihrer ſchon<lb/> damals beginnenden Geiſtesverwirrung entſchuldigt werden, da<lb/> ſie wirklich uͤbertriebene Forderungen an jene richtete.</p><lb/> <p>Inzwiſchen wuchs ihre Krankheit mit jedem Tage, und<lb/> dieſelbe ſcheint damals einen fieberhaften Charakter angenom¬<lb/> men zu haben, denn ſie litt an ſtarker Hitze, heftigen Kopf¬<lb/> ſchmerzen, großer Angſt auf der Bruſt, waͤhrend die hart¬<lb/> naͤckige Leibesverſtopfung fortdauerte, und eine ſtete Uebelkeit<lb/> und ſtarke Neigung zum Erbrechen ſich hinzugeſellte. Noch<lb/> war ihre Beſinnung nicht ganz geſchwunden, und ſie wurde<lb/> daher durch die endloſe Geſchwaͤtzigkeit der M., deren Huͤlfe<lb/> ſie wieder in Anſpruch nehmen mußte, ſo ſehr geplagt, daß<lb/> ſie ſelbſt uͤble Folgen davon befuͤrchtete, und ſie wiederholt<lb/> zum Schweigen aufforderte. Jene Frau benutzte ihre Schwaͤ¬<lb/> che, ihr mancherlei Kleinigkeiten abzuſchwatzen, ſo daß ſie vor<lb/> deren Habſucht in ſteter Furcht war, und den wahrſcheinlich<lb/> nicht ungegruͤndeten Verdacht hegte, jene warte nur auf ih¬<lb/> ren Tod, um ſich Manches von ihrer Habe anzueignen. Da¬<lb/> bei raubte ſie ihr durch Schwatzhaftigkeit immer wieder die<lb/> noͤthige Ruhe, peinigte ſie geradezu durch ſcandaloͤſe Erzaͤh¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [74/0082]
ſchmerzlich erinnert wurde. Grauen erregende Bilder aus der
Vergangenheit geſellten ſich zu den peinlichen Gefuͤhlen, welche
durch jene Frau erweckt waren, und um ihre Stimmung noch
krankhafter aufzuregen, quaͤlte einer der Anweſenden ſie mit
einem fanatiſchen Bekehrungseifer, als ob ſie, dem Tode nahe,
erſt des wahren Glaubens theilhaftig werden muͤſſe, und hielt
unaufgefordert lange Gebete fuͤr ihr Seelenheil. Als jene
Maͤnner ſie verlaſſen hatten, fiel ſie in eine wahre Erſchoͤ¬
pfung, und ſie war noch am Abende, als ein Wiedertaͤufer ſie
beſuchte, ſo betaͤubt, daß ſie denſelben Anfangs gar nicht
kannte. Auf ſeine Veranſtaltung uͤbernahmen einige Wieder¬
taͤuferinnen abwechſelnd ihre Pflege waͤhrend der naͤchſten Tage,
und erſt als ihre Krankheit ſich in die Laͤnge zog, blieben jene
aus, ſo daß ſie ſich ſehr verlaſſen fuͤhlte. Ihrer Huͤlfsloſigkeit
ſich bewußt, empfand ſie eine große Erbitterung gegen die Wie¬
dertaͤufer, welche die Krankenpflege zu einer Hauptangelegen¬
heit ihres Bundes machten, und dieſelbe auch wirklich in ei¬
nem ziemlich ausgedehnten Maaße ausgeuͤbt zu haben ſcheinen.
Die Entruͤſtung der W. gegen ſie muß daher aus ihrer ſchon
damals beginnenden Geiſtesverwirrung entſchuldigt werden, da
ſie wirklich uͤbertriebene Forderungen an jene richtete.
Inzwiſchen wuchs ihre Krankheit mit jedem Tage, und
dieſelbe ſcheint damals einen fieberhaften Charakter angenom¬
men zu haben, denn ſie litt an ſtarker Hitze, heftigen Kopf¬
ſchmerzen, großer Angſt auf der Bruſt, waͤhrend die hart¬
naͤckige Leibesverſtopfung fortdauerte, und eine ſtete Uebelkeit
und ſtarke Neigung zum Erbrechen ſich hinzugeſellte. Noch
war ihre Beſinnung nicht ganz geſchwunden, und ſie wurde
daher durch die endloſe Geſchwaͤtzigkeit der M., deren Huͤlfe
ſie wieder in Anſpruch nehmen mußte, ſo ſehr geplagt, daß
ſie ſelbſt uͤble Folgen davon befuͤrchtete, und ſie wiederholt
zum Schweigen aufforderte. Jene Frau benutzte ihre Schwaͤ¬
che, ihr mancherlei Kleinigkeiten abzuſchwatzen, ſo daß ſie vor
deren Habſucht in ſteter Furcht war, und den wahrſcheinlich
nicht ungegruͤndeten Verdacht hegte, jene warte nur auf ih¬
ren Tod, um ſich Manches von ihrer Habe anzueignen. Da¬
bei raubte ſie ihr durch Schwatzhaftigkeit immer wieder die
noͤthige Ruhe, peinigte ſie geradezu durch ſcandaloͤſe Erzaͤh¬
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