Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.lungen, und übergab während ihrer Abwesenheit einem Kinde lungen, und uͤbergab waͤhrend ihrer Abweſenheit einem Kinde <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0083" n="75"/> lungen, und uͤbergab waͤhrend ihrer Abweſenheit einem Kinde<lb/> die Aufſicht, welches durch zu ſtarkes Heizen des eiſernen<lb/> Ofens nicht nur die Fieberhitze der W. bis zu einem uner¬<lb/> traͤglichen Grade ſteigerte, ſondern ihr auch eine große Furcht<lb/> vor Feuersbrunſt einfloͤßte. Bei zunehmender Entkraͤftung<lb/> ſtand ſie daher eine große Angſt aus; die Vorſtellung des<lb/> nahen Todes, welchen ſie bis dahin nicht erwartet hatte,<lb/> trat ihr immer lebendiger vor die Seele, indeß ſuchte ſie ſich<lb/> daruͤber mit dem Gedanken zu troͤſten, daß ſie mit dem Le¬<lb/> ben nicht viel verliere. Das vorherrſchende Gefuͤhl blieb aber<lb/> der Widerwille gegen die Wiedertaͤufer, von denen ſie ſich auf<lb/> eine pflichtvergeſſene Weiſe verlaſſen glaubte. Allmaͤhlig fing<lb/> ihr die deutliche Beſinnung an zu ſchwinden, und es kam ihr<lb/> vor, als ob ſie in einer dunklen Hoͤhle liege, und dabei war<lb/> ihr ſo graͤßlich zu Muthe, daß es ſich gar nicht beſchreiben<lb/> ließ. Nur zuweilen ſchreckte ſie aus ihrer Betaͤubung auf,<lb/> und ſie glaubte dann Zwiegeſpraͤche von mehreren Perſonen<lb/> in ihrem Zimmer zu hoͤren, von denen ſie indeß ſo wenig<lb/> verſtand, daß ihre Gedankenverwirrung dadurch noch vermehrt<lb/> wurde. Dabei wurde ihr Schaamgefuͤhl durch die Anweſen¬<lb/> heit eines Mannes verletzt, und ein fortwaͤhrendes Getoͤſe im<lb/> Hauſe, wie wenn Thuͤren heftig zugeworfen wuͤrden, ver¬<lb/> muthlich eine Sinnestaͤuſchung, erhielt ſie in ſteter Unruhe.<lb/> In wiefern es gegruͤndet ſein mag, daß ein Anweſender ſie<lb/> fuͤr eine Abtruͤnnige von Gott erklaͤrt und zur Buße aufge¬<lb/> fordert habe, muß auf ſich beruhen, wenn es auch viel wahr¬<lb/> ſcheinlicher iſt, daß eine ſolche noch dunkel vor ihrer Seele<lb/> ſchwebende Scene eine leere Ausgeburt ihrer Phantaſie war,<lb/> deren Schreckbilder aus dem finſteren Hintergrunde ihres Be¬<lb/> wußtſeins hervortraten. Die Anweſenden erſchienen ihr als<lb/> zwei einander feindlich geſinnte Partheien, deren Unverſoͤhn¬<lb/> lichkeit ſie im innerſten Herzen beklagte, und damit die Vor¬<lb/> ſtellung verband, wenn die Menſchen nicht auf Erden in Frie¬<lb/> den zuſammen lebten, ſo koͤnnten ſie noch weniger in der<lb/> Ewigkeit mit Gott verſoͤhnt ſein. Ja ſie ſah hierin eine<lb/> wahre Verſuchungsgeſchichte, als ob der boͤſe Feind mit ihr<lb/> ſein Spiel triebe, und ihre Schwaͤchen mißbrauchen wolle,<lb/> und brach zuletzt in die Worte aus: der Teufel muß doch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [75/0083]
lungen, und uͤbergab waͤhrend ihrer Abweſenheit einem Kinde
die Aufſicht, welches durch zu ſtarkes Heizen des eiſernen
Ofens nicht nur die Fieberhitze der W. bis zu einem uner¬
traͤglichen Grade ſteigerte, ſondern ihr auch eine große Furcht
vor Feuersbrunſt einfloͤßte. Bei zunehmender Entkraͤftung
ſtand ſie daher eine große Angſt aus; die Vorſtellung des
nahen Todes, welchen ſie bis dahin nicht erwartet hatte,
trat ihr immer lebendiger vor die Seele, indeß ſuchte ſie ſich
daruͤber mit dem Gedanken zu troͤſten, daß ſie mit dem Le¬
ben nicht viel verliere. Das vorherrſchende Gefuͤhl blieb aber
der Widerwille gegen die Wiedertaͤufer, von denen ſie ſich auf
eine pflichtvergeſſene Weiſe verlaſſen glaubte. Allmaͤhlig fing
ihr die deutliche Beſinnung an zu ſchwinden, und es kam ihr
vor, als ob ſie in einer dunklen Hoͤhle liege, und dabei war
ihr ſo graͤßlich zu Muthe, daß es ſich gar nicht beſchreiben
ließ. Nur zuweilen ſchreckte ſie aus ihrer Betaͤubung auf,
und ſie glaubte dann Zwiegeſpraͤche von mehreren Perſonen
in ihrem Zimmer zu hoͤren, von denen ſie indeß ſo wenig
verſtand, daß ihre Gedankenverwirrung dadurch noch vermehrt
wurde. Dabei wurde ihr Schaamgefuͤhl durch die Anweſen¬
heit eines Mannes verletzt, und ein fortwaͤhrendes Getoͤſe im
Hauſe, wie wenn Thuͤren heftig zugeworfen wuͤrden, ver¬
muthlich eine Sinnestaͤuſchung, erhielt ſie in ſteter Unruhe.
In wiefern es gegruͤndet ſein mag, daß ein Anweſender ſie
fuͤr eine Abtruͤnnige von Gott erklaͤrt und zur Buße aufge¬
fordert habe, muß auf ſich beruhen, wenn es auch viel wahr¬
ſcheinlicher iſt, daß eine ſolche noch dunkel vor ihrer Seele
ſchwebende Scene eine leere Ausgeburt ihrer Phantaſie war,
deren Schreckbilder aus dem finſteren Hintergrunde ihres Be¬
wußtſeins hervortraten. Die Anweſenden erſchienen ihr als
zwei einander feindlich geſinnte Partheien, deren Unverſoͤhn¬
lichkeit ſie im innerſten Herzen beklagte, und damit die Vor¬
ſtellung verband, wenn die Menſchen nicht auf Erden in Frie¬
den zuſammen lebten, ſo koͤnnten ſie noch weniger in der
Ewigkeit mit Gott verſoͤhnt ſein. Ja ſie ſah hierin eine
wahre Verſuchungsgeſchichte, als ob der boͤſe Feind mit ihr
ſein Spiel triebe, und ihre Schwaͤchen mißbrauchen wolle,
und brach zuletzt in die Worte aus: der Teufel muß doch
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