Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

hört. Es sei ihr nichts anzuhaben gewesen, indessen habe man ihr alle Sachen von Werth abgenommen und diese versteigern lassen, um die Kosten der durch sie veranlaßten Untersuchung zu tilgen. -- Nun war meine Frau im Klaren. Ich hatte einmal gegen sie fallen lassen, daß ich mir ein Gewissen daraus mache, den Ring, ein Geschenk meiner Schwester, in Ems weggegeben zu haben. Sie hielt den verschenkten in Händen, ihre Ahnung über den wahren Zusammenhang der Sache bestätigte sich. Sie kaufte das Kleinod, sie suchte unter allerhand Vorwänden von dem Goldschmiede noch mehr über die frühere Eignerin zu erfahren. In ihrer unglücklichen Leidenschaftlichkeit drang sie endlich in den Mann, ihr um jeden Preis vollständige Notizen zu verschaffen. Der Juwelier wollte sich seiner besten Kundin gern gefällig erzeigen, er schrieb an seinen Vetter, und nach ewigen Wochen hatte sie das traurige Vergnügen, Abschriften einiger Verhandlungen in den Händen zu halten, die jener Vetter halb unerlaubter Weise aus den Acten gefertigt hatte.

So ward durch beklagenswerthe Zufälligkeiten eine alte Mystification entdeckt und eine neue möglich gemacht, die auf das Schicksal meines Lebens den übelsten Einfluß geübt hat.

hört. Es sei ihr nichts anzuhaben gewesen, indessen habe man ihr alle Sachen von Werth abgenommen und diese versteigern lassen, um die Kosten der durch sie veranlaßten Untersuchung zu tilgen. — Nun war meine Frau im Klaren. Ich hatte einmal gegen sie fallen lassen, daß ich mir ein Gewissen daraus mache, den Ring, ein Geschenk meiner Schwester, in Ems weggegeben zu haben. Sie hielt den verschenkten in Händen, ihre Ahnung über den wahren Zusammenhang der Sache bestätigte sich. Sie kaufte das Kleinod, sie suchte unter allerhand Vorwänden von dem Goldschmiede noch mehr über die frühere Eignerin zu erfahren. In ihrer unglücklichen Leidenschaftlichkeit drang sie endlich in den Mann, ihr um jeden Preis vollständige Notizen zu verschaffen. Der Juwelier wollte sich seiner besten Kundin gern gefällig erzeigen, er schrieb an seinen Vetter, und nach ewigen Wochen hatte sie das traurige Vergnügen, Abschriften einiger Verhandlungen in den Händen zu halten, die jener Vetter halb unerlaubter Weise aus den Acten gefertigt hatte.

So ward durch beklagenswerthe Zufälligkeiten eine alte Mystification entdeckt und eine neue möglich gemacht, die auf das Schicksal meines Lebens den übelsten Einfluß geübt hat.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="19">
        <p><pb facs="#f0112"/>
hört. Es sei ihr nichts anzuhaben gewesen, indessen habe man ihr alle      Sachen von Werth abgenommen und diese versteigern lassen, um die Kosten der durch sie      veranlaßten Untersuchung zu tilgen. &#x2014; Nun war meine Frau im Klaren. Ich hatte einmal gegen sie      fallen lassen, daß ich mir ein Gewissen daraus mache, den Ring, ein Geschenk meiner Schwester,      in Ems weggegeben zu haben. Sie hielt den verschenkten in Händen, ihre Ahnung über den wahren      Zusammenhang der Sache bestätigte sich. Sie kaufte das Kleinod, sie suchte unter allerhand      Vorwänden von dem Goldschmiede noch mehr über die frühere Eignerin zu erfahren. In ihrer      unglücklichen Leidenschaftlichkeit drang sie endlich in den Mann, ihr um jeden Preis      vollständige Notizen zu verschaffen. Der Juwelier wollte sich seiner besten Kundin gern      gefällig erzeigen, er schrieb an seinen Vetter, und nach ewigen Wochen hatte sie das traurige      Vergnügen, Abschriften einiger Verhandlungen in den Händen zu halten, die jener Vetter halb      unerlaubter Weise aus den Acten gefertigt hatte.</p><lb/>
        <p>So ward durch beklagenswerthe Zufälligkeiten eine alte Mystification entdeckt und eine neue      möglich gemacht, die auf das Schicksal meines Lebens den übelsten Einfluß geübt hat.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] hört. Es sei ihr nichts anzuhaben gewesen, indessen habe man ihr alle Sachen von Werth abgenommen und diese versteigern lassen, um die Kosten der durch sie veranlaßten Untersuchung zu tilgen. — Nun war meine Frau im Klaren. Ich hatte einmal gegen sie fallen lassen, daß ich mir ein Gewissen daraus mache, den Ring, ein Geschenk meiner Schwester, in Ems weggegeben zu haben. Sie hielt den verschenkten in Händen, ihre Ahnung über den wahren Zusammenhang der Sache bestätigte sich. Sie kaufte das Kleinod, sie suchte unter allerhand Vorwänden von dem Goldschmiede noch mehr über die frühere Eignerin zu erfahren. In ihrer unglücklichen Leidenschaftlichkeit drang sie endlich in den Mann, ihr um jeden Preis vollständige Notizen zu verschaffen. Der Juwelier wollte sich seiner besten Kundin gern gefällig erzeigen, er schrieb an seinen Vetter, und nach ewigen Wochen hatte sie das traurige Vergnügen, Abschriften einiger Verhandlungen in den Händen zu halten, die jener Vetter halb unerlaubter Weise aus den Acten gefertigt hatte. So ward durch beklagenswerthe Zufälligkeiten eine alte Mystification entdeckt und eine neue möglich gemacht, die auf das Schicksal meines Lebens den übelsten Einfluß geübt hat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/112
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/112>, abgerufen am 21.11.2024.