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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Märzensonne hatte ihn ins Freie gelockt. Mit einem Stäbchen, welches er nachlässig spielend in der Linken hielt, hatte er etwas in den Sand gekratzt. Sie trat, unbemerkt von ihm, herzu und sah zu ihrer Betrübniß ein böses S am Boden. In diesem Augenblicke war sie vom Haupt bis zur Sohle eine Flamme. Sie verrieth ihre Anwesenheit durch einen tiefen Athemzug. Er blickte auf, und zerstörte blitzschnell mit dem Fuße das Werk seiner Träumerei, Purpur und Glut im Gesichte. Sie wußte, woran sie war. Schien ihr nicht aus seinem Antlitze die Fackel, die ihre Erniedrigung, ihre Zurücksetzung beleuchtete? Elende, Nichtswürdige, Abscheuliche! stammelte sie, und sank schluchzend auf eine Bank. Er hatte sich gefaßt, und trat vor sie. Die Namen verdient sie nicht, sagte er mit einer höheren Festigkeit, als sie an ihm zu erblicken gewohnt war, und Niemand soll sie in meiner Gegenwart so nennen.

Ha, rief sie, ich, verhöhnt um eine Buhlerin!.... Der Zorn schlug ihm die Zähne an einander. Es frägt sich noch, sagte er, wer besser ist; die Frau, welche in kalter Rechtfertigkeit mit Gefühlen ihren Spott treiben konnte, oder die arme Sünderin, der die Augen leuchteten, als sie mir mein verwahrtes Eigenthum zurückgab? -- Es kommt die Stunde, wo wir Alle der Vergebung bedürfen. Fordere das Schicksal nicht heraus! Denke auch du des Wortes, welches Sidonie mir beim Abschied sagte: Richte nicht!

Sie meinte, verfinstert, wie sie war, er spiele auf

Märzensonne hatte ihn ins Freie gelockt. Mit einem Stäbchen, welches er nachlässig spielend in der Linken hielt, hatte er etwas in den Sand gekratzt. Sie trat, unbemerkt von ihm, herzu und sah zu ihrer Betrübniß ein böses S am Boden. In diesem Augenblicke war sie vom Haupt bis zur Sohle eine Flamme. Sie verrieth ihre Anwesenheit durch einen tiefen Athemzug. Er blickte auf, und zerstörte blitzschnell mit dem Fuße das Werk seiner Träumerei, Purpur und Glut im Gesichte. Sie wußte, woran sie war. Schien ihr nicht aus seinem Antlitze die Fackel, die ihre Erniedrigung, ihre Zurücksetzung beleuchtete? Elende, Nichtswürdige, Abscheuliche! stammelte sie, und sank schluchzend auf eine Bank. Er hatte sich gefaßt, und trat vor sie. Die Namen verdient sie nicht, sagte er mit einer höheren Festigkeit, als sie an ihm zu erblicken gewohnt war, und Niemand soll sie in meiner Gegenwart so nennen.

Ha, rief sie, ich, verhöhnt um eine Buhlerin!.... Der Zorn schlug ihm die Zähne an einander. Es frägt sich noch, sagte er, wer besser ist; die Frau, welche in kalter Rechtfertigkeit mit Gefühlen ihren Spott treiben konnte, oder die arme Sünderin, der die Augen leuchteten, als sie mir mein verwahrtes Eigenthum zurückgab? — Es kommt die Stunde, wo wir Alle der Vergebung bedürfen. Fordere das Schicksal nicht heraus! Denke auch du des Wortes, welches Sidonie mir beim Abschied sagte: Richte nicht!

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[0118] Märzensonne hatte ihn ins Freie gelockt. Mit einem Stäbchen, welches er nachlässig spielend in der Linken hielt, hatte er etwas in den Sand gekratzt. Sie trat, unbemerkt von ihm, herzu und sah zu ihrer Betrübniß ein böses S am Boden. In diesem Augenblicke war sie vom Haupt bis zur Sohle eine Flamme. Sie verrieth ihre Anwesenheit durch einen tiefen Athemzug. Er blickte auf, und zerstörte blitzschnell mit dem Fuße das Werk seiner Träumerei, Purpur und Glut im Gesichte. Sie wußte, woran sie war. Schien ihr nicht aus seinem Antlitze die Fackel, die ihre Erniedrigung, ihre Zurücksetzung beleuchtete? Elende, Nichtswürdige, Abscheuliche! stammelte sie, und sank schluchzend auf eine Bank. Er hatte sich gefaßt, und trat vor sie. Die Namen verdient sie nicht, sagte er mit einer höheren Festigkeit, als sie an ihm zu erblicken gewohnt war, und Niemand soll sie in meiner Gegenwart so nennen. Ha, rief sie, ich, verhöhnt um eine Buhlerin!.... Der Zorn schlug ihm die Zähne an einander. Es frägt sich noch, sagte er, wer besser ist; die Frau, welche in kalter Rechtfertigkeit mit Gefühlen ihren Spott treiben konnte, oder die arme Sünderin, der die Augen leuchteten, als sie mir mein verwahrtes Eigenthum zurückgab? — Es kommt die Stunde, wo wir Alle der Vergebung bedürfen. Fordere das Schicksal nicht heraus! Denke auch du des Wortes, welches Sidonie mir beim Abschied sagte: Richte nicht! Sie meinte, verfinstert, wie sie war, er spiele auf

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/118>, abgerufen am 30.05.2024.