Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

nach ihr anzustellen und, wenn er sie ausgeforscht, unbemerkt, anonym für sie zu sorgen. Das und nicht mehr hatte er im Sinn, und doch schlug ihm das Herz, und doch wallte sein Blut mit einer Unruhe, welche nicht die Folge rein wohlthätiger Entschließungen zu sein pflegt. Jetzt sah er sich zwischen waldbewachsnen Hügeln; unversehens hatte sich die Ebne in diese verloren. Er blickte um sich, er wußte nicht mehr, in welcher Richtung er sich befand, kein Mensch war zu erblicken, es war ein Sonntag; aus der Ferne tönte eine Kirchenglocke. Diesem Schalle vertrauend, schlug er den Weg ein, der demselben entgegen zu führen schien. So hoffte er zu einem Dorfe zu gelangen, wo er sich wieder zurecht fragen konnte. Die Hügel wurden zu beiden Seiten höher, endlich traten Felsen hervor, er gerieth in einen finstern Hohlweg. Er ritt in die unheimliche Dämmrung hinein, vorsichtig sein Pferd zügelnd und achtsam vorausschauend. Als er eben um eine vorspringende Ecke lenken wollte, sprang mit entsetzlichem Geschrei, welches wie ein Gelächter klang, eine menschliche Figur hinter derselben hervor und streckte zwei Finger über der Stirne in die Höhe, als wollte er dem Begegnenden Hörner andeuten. Gustav's Pferd scheute bei dem Geschrei und Anblick, und that einen Satz, daß der Reiter sich nur mit Mühe im Sattel erhalten konnte. Er riß das Pferd heftig zusammen, die wilde Figur wollte neben ihm durch die Enge schlüpfen, das Pferd schlug blitzschnell aus, und hinter ihm ertönte ein Jammergeschrei. Er wandte sich

nach ihr anzustellen und, wenn er sie ausgeforscht, unbemerkt, anonym für sie zu sorgen. Das und nicht mehr hatte er im Sinn, und doch schlug ihm das Herz, und doch wallte sein Blut mit einer Unruhe, welche nicht die Folge rein wohlthätiger Entschließungen zu sein pflegt. Jetzt sah er sich zwischen waldbewachsnen Hügeln; unversehens hatte sich die Ebne in diese verloren. Er blickte um sich, er wußte nicht mehr, in welcher Richtung er sich befand, kein Mensch war zu erblicken, es war ein Sonntag; aus der Ferne tönte eine Kirchenglocke. Diesem Schalle vertrauend, schlug er den Weg ein, der demselben entgegen zu führen schien. So hoffte er zu einem Dorfe zu gelangen, wo er sich wieder zurecht fragen konnte. Die Hügel wurden zu beiden Seiten höher, endlich traten Felsen hervor, er gerieth in einen finstern Hohlweg. Er ritt in die unheimliche Dämmrung hinein, vorsichtig sein Pferd zügelnd und achtsam vorausschauend. Als er eben um eine vorspringende Ecke lenken wollte, sprang mit entsetzlichem Geschrei, welches wie ein Gelächter klang, eine menschliche Figur hinter derselben hervor und streckte zwei Finger über der Stirne in die Höhe, als wollte er dem Begegnenden Hörner andeuten. Gustav's Pferd scheute bei dem Geschrei und Anblick, und that einen Satz, daß der Reiter sich nur mit Mühe im Sattel erhalten konnte. Er riß das Pferd heftig zusammen, die wilde Figur wollte neben ihm durch die Enge schlüpfen, das Pferd schlug blitzschnell aus, und hinter ihm ertönte ein Jammergeschrei. Er wandte sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="21">
        <p><pb facs="#f0124"/>
nach ihr anzustellen und, wenn er sie ausgeforscht, unbemerkt, anonym      für sie zu sorgen. Das und nicht mehr hatte er im Sinn, und doch schlug ihm das Herz, und doch      wallte sein Blut mit einer Unruhe, welche nicht die Folge rein wohlthätiger Entschließungen zu      sein pflegt. Jetzt sah er sich zwischen waldbewachsnen Hügeln; unversehens hatte sich die Ebne      in diese verloren. Er blickte um sich, er wußte nicht mehr, in welcher Richtung er sich befand,      kein Mensch war zu erblicken, es war ein Sonntag; aus der Ferne tönte eine Kirchenglocke.      Diesem Schalle vertrauend, schlug er den Weg ein, der demselben entgegen zu führen schien. So      hoffte er zu einem Dorfe zu gelangen, wo er sich wieder zurecht fragen konnte. Die Hügel wurden      zu beiden Seiten höher, endlich traten Felsen hervor, er gerieth in einen finstern Hohlweg. Er      ritt in die unheimliche Dämmrung hinein, vorsichtig sein Pferd zügelnd und achtsam      vorausschauend. Als er eben um eine vorspringende Ecke lenken wollte, sprang mit entsetzlichem      Geschrei, welches wie ein Gelächter klang, eine menschliche Figur hinter derselben hervor und      streckte zwei Finger über der Stirne in die Höhe, als wollte er dem Begegnenden Hörner      andeuten. Gustav's Pferd scheute bei dem Geschrei und Anblick, und that einen Satz, daß der      Reiter sich nur mit Mühe im Sattel erhalten konnte. Er riß das Pferd heftig zusammen, die wilde      Figur wollte neben ihm durch die Enge schlüpfen, das Pferd schlug blitzschnell aus, und hinter      ihm ertönte ein Jammergeschrei. Er wandte sich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] nach ihr anzustellen und, wenn er sie ausgeforscht, unbemerkt, anonym für sie zu sorgen. Das und nicht mehr hatte er im Sinn, und doch schlug ihm das Herz, und doch wallte sein Blut mit einer Unruhe, welche nicht die Folge rein wohlthätiger Entschließungen zu sein pflegt. Jetzt sah er sich zwischen waldbewachsnen Hügeln; unversehens hatte sich die Ebne in diese verloren. Er blickte um sich, er wußte nicht mehr, in welcher Richtung er sich befand, kein Mensch war zu erblicken, es war ein Sonntag; aus der Ferne tönte eine Kirchenglocke. Diesem Schalle vertrauend, schlug er den Weg ein, der demselben entgegen zu führen schien. So hoffte er zu einem Dorfe zu gelangen, wo er sich wieder zurecht fragen konnte. Die Hügel wurden zu beiden Seiten höher, endlich traten Felsen hervor, er gerieth in einen finstern Hohlweg. Er ritt in die unheimliche Dämmrung hinein, vorsichtig sein Pferd zügelnd und achtsam vorausschauend. Als er eben um eine vorspringende Ecke lenken wollte, sprang mit entsetzlichem Geschrei, welches wie ein Gelächter klang, eine menschliche Figur hinter derselben hervor und streckte zwei Finger über der Stirne in die Höhe, als wollte er dem Begegnenden Hörner andeuten. Gustav's Pferd scheute bei dem Geschrei und Anblick, und that einen Satz, daß der Reiter sich nur mit Mühe im Sattel erhalten konnte. Er riß das Pferd heftig zusammen, die wilde Figur wollte neben ihm durch die Enge schlüpfen, das Pferd schlug blitzschnell aus, und hinter ihm ertönte ein Jammergeschrei. Er wandte sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/124
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/124>, abgerufen am 21.11.2024.