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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Warum sterben unsre Hoffnungen, warum erlischt unsre Zuversicht, ehe wir sie genossen haben? Er gedachte seiner frischen Jugend und des Tages, wo er mit den Freunden seiner ersten Zeiten im Angesicht des Stroms den Bund für die Ewigkeit beschwor. -- Die Welle hatte den Schwur vernommen und ihn ins Meer getragen, die Freunde zerstreuten sich, und wenn der Zufall später zwei wieder zusammenführte, so ging es wie auf dem Carneval, keiner hatte mehr mit dem andern etwas zu theilen; er gedachte des Tages, wo er an Adolphinens Brust sank, in den Armen eines Weibes das Glück zu finden, -- hatte er es gefunden? Das ganze Leben schien ihm so recht eigentlich auf eine trostlose Mittelmäßigkeit, auf eine dürre Gemeinheit angelegt zu sein'. Keine Gewähr für irgend etwas, was über die armselige Noth, über das Bedürfniß des Tages hinausgeht! Dann leuchtete ihm wieder, wie eine himmelblaue Blume aus Moder und Zerstörung, die Liebe jener Unglücklichen entgegen. Ja, diese war mein eigen! rief er aus. Diese hätte mich verstanden, sie hätte nicht meiner gespottet, in den Tod und zu der Hölle wäre sie für mich gegangen! Warum auch das noch erfahren? Er fühlte fein Dasein zerstückt, aber in jedem Stücke zuckte und blutete ein Herz.

Indem er sich so seinen düstern Gedanken überließ, hatte er wie gewöhnlich des Weges nicht genugsam geachtet. Und wohin wollte er denn? Nun, er wollte nach Köln, nicht, Sidonien zu sehn, nein, nur Erkundigungen

Warum sterben unsre Hoffnungen, warum erlischt unsre Zuversicht, ehe wir sie genossen haben? Er gedachte seiner frischen Jugend und des Tages, wo er mit den Freunden seiner ersten Zeiten im Angesicht des Stroms den Bund für die Ewigkeit beschwor. — Die Welle hatte den Schwur vernommen und ihn ins Meer getragen, die Freunde zerstreuten sich, und wenn der Zufall später zwei wieder zusammenführte, so ging es wie auf dem Carneval, keiner hatte mehr mit dem andern etwas zu theilen; er gedachte des Tages, wo er an Adolphinens Brust sank, in den Armen eines Weibes das Glück zu finden, — hatte er es gefunden? Das ganze Leben schien ihm so recht eigentlich auf eine trostlose Mittelmäßigkeit, auf eine dürre Gemeinheit angelegt zu sein'. Keine Gewähr für irgend etwas, was über die armselige Noth, über das Bedürfniß des Tages hinausgeht! Dann leuchtete ihm wieder, wie eine himmelblaue Blume aus Moder und Zerstörung, die Liebe jener Unglücklichen entgegen. Ja, diese war mein eigen! rief er aus. Diese hätte mich verstanden, sie hätte nicht meiner gespottet, in den Tod und zu der Hölle wäre sie für mich gegangen! Warum auch das noch erfahren? Er fühlte fein Dasein zerstückt, aber in jedem Stücke zuckte und blutete ein Herz.

Indem er sich so seinen düstern Gedanken überließ, hatte er wie gewöhnlich des Weges nicht genugsam geachtet. Und wohin wollte er denn? Nun, er wollte nach Köln, nicht, Sidonien zu sehn, nein, nur Erkundigungen

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[0123] Warum sterben unsre Hoffnungen, warum erlischt unsre Zuversicht, ehe wir sie genossen haben? Er gedachte seiner frischen Jugend und des Tages, wo er mit den Freunden seiner ersten Zeiten im Angesicht des Stroms den Bund für die Ewigkeit beschwor. — Die Welle hatte den Schwur vernommen und ihn ins Meer getragen, die Freunde zerstreuten sich, und wenn der Zufall später zwei wieder zusammenführte, so ging es wie auf dem Carneval, keiner hatte mehr mit dem andern etwas zu theilen; er gedachte des Tages, wo er an Adolphinens Brust sank, in den Armen eines Weibes das Glück zu finden, — hatte er es gefunden? Das ganze Leben schien ihm so recht eigentlich auf eine trostlose Mittelmäßigkeit, auf eine dürre Gemeinheit angelegt zu sein'. Keine Gewähr für irgend etwas, was über die armselige Noth, über das Bedürfniß des Tages hinausgeht! Dann leuchtete ihm wieder, wie eine himmelblaue Blume aus Moder und Zerstörung, die Liebe jener Unglücklichen entgegen. Ja, diese war mein eigen! rief er aus. Diese hätte mich verstanden, sie hätte nicht meiner gespottet, in den Tod und zu der Hölle wäre sie für mich gegangen! Warum auch das noch erfahren? Er fühlte fein Dasein zerstückt, aber in jedem Stücke zuckte und blutete ein Herz. Indem er sich so seinen düstern Gedanken überließ, hatte er wie gewöhnlich des Weges nicht genugsam geachtet. Und wohin wollte er denn? Nun, er wollte nach Köln, nicht, Sidonien zu sehn, nein, nur Erkundigungen

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/123>, abgerufen am 19.05.2024.