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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und ihr Herren Preußen ins Land kamt, denn jetzo ist es nicht mehr viel mit der Stadt. Wer dazumal die Stadt gesehen hat, der hat was gesehen. Es war so ein Wesen, so eine Art darin, man kann's nicht beschreiben, aber wer's mit durchgemacht hat, vergißt es sein Lebtage nicht. Wenn man so den Sonntag hinüber ging nach Deutz, seinen Schoppen zu trinken im Marienbildchen, dann hieß es rechts und links: Gevatter, geht Ihr auch nach Deutz? Ja, ich gehe auch nach Deutz, antworteten die Andern. Und dann sagten sie Alle zusammen: wer nicht nach Deutz geht, ist kein ächter Kölner. Ja, ja, es war eine Zeit, ich habe sie erlebt. Das Fleisch kostete nicht viel, das Brod wenig, die Fische verdarben fast auf dem Markte, die Stadt steckte nicht so voll Menschen, so voll Mäuler, als jetzt. Wenn man auf den Straßen ging, konnte man doch seine Gedanken zusammenhalten, es war hübsch still und sacht drin, nicht so ein Getriebe und Geschreie, so ein Gehandle und Gewandle als jetzunder. Drei Tage nur durfte der Churfürst hintereinander in der Stadt verweilen, so hat es der Verbundbrief von Anno 1437 bestimmt, so hat's gegolten, bis zuletzt. Anno 89 kam Max Franz von Bonn herüber, er hatte hier Geschäfte, er wollte eine Schule in Ordnung bringen, er wurde nicht fertig in den drei Tagen, er bat den Rath, ihm den vierten Tag für dießmal zu gestatten. Ich schrieb damals bei dem Herrn, ich habe die Antwort mundirt. Nein, sagte der Rath, es ist besser, daß eine Schule in Unordnung

und ihr Herren Preußen ins Land kamt, denn jetzo ist es nicht mehr viel mit der Stadt. Wer dazumal die Stadt gesehen hat, der hat was gesehen. Es war so ein Wesen, so eine Art darin, man kann's nicht beschreiben, aber wer's mit durchgemacht hat, vergißt es sein Lebtage nicht. Wenn man so den Sonntag hinüber ging nach Deutz, seinen Schoppen zu trinken im Marienbildchen, dann hieß es rechts und links: Gevatter, geht Ihr auch nach Deutz? Ja, ich gehe auch nach Deutz, antworteten die Andern. Und dann sagten sie Alle zusammen: wer nicht nach Deutz geht, ist kein ächter Kölner. Ja, ja, es war eine Zeit, ich habe sie erlebt. Das Fleisch kostete nicht viel, das Brod wenig, die Fische verdarben fast auf dem Markte, die Stadt steckte nicht so voll Menschen, so voll Mäuler, als jetzt. Wenn man auf den Straßen ging, konnte man doch seine Gedanken zusammenhalten, es war hübsch still und sacht drin, nicht so ein Getriebe und Geschreie, so ein Gehandle und Gewandle als jetzunder. Drei Tage nur durfte der Churfürst hintereinander in der Stadt verweilen, so hat es der Verbundbrief von Anno 1437 bestimmt, so hat's gegolten, bis zuletzt. Anno 89 kam Max Franz von Bonn herüber, er hatte hier Geschäfte, er wollte eine Schule in Ordnung bringen, er wurde nicht fertig in den drei Tagen, er bat den Rath, ihm den vierten Tag für dießmal zu gestatten. Ich schrieb damals bei dem Herrn, ich habe die Antwort mundirt. Nein, sagte der Rath, es ist besser, daß eine Schule in Unordnung

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und ihr Herren Preußen ins Land kamt, denn jetzo ist es nicht mehr viel mit der      Stadt. Wer dazumal die Stadt gesehen hat, der hat was gesehen. Es war so ein Wesen, so eine Art      darin, man kann's nicht beschreiben, aber wer's mit durchgemacht hat, vergißt es sein Lebtage      nicht. Wenn man so den Sonntag hinüber ging nach Deutz, seinen Schoppen zu trinken im      Marienbildchen, dann hieß es rechts und links: Gevatter, geht Ihr auch nach Deutz? Ja, ich gehe      auch nach Deutz, antworteten die Andern. Und dann sagten sie Alle zusammen: wer nicht nach      Deutz geht, ist kein ächter Kölner. Ja, ja, es war eine Zeit, ich habe sie erlebt. Das Fleisch      kostete nicht viel, das Brod wenig, die Fische verdarben fast auf dem Markte, die Stadt steckte      nicht so voll Menschen, so voll Mäuler, als jetzt. Wenn man auf den Straßen ging, konnte man      doch seine Gedanken zusammenhalten, es war hübsch still und sacht drin, nicht so ein Getriebe      und Geschreie, so ein Gehandle und Gewandle als jetzunder. Drei Tage nur durfte der Churfürst      hintereinander in der Stadt verweilen, so hat es der Verbundbrief von Anno 1437 bestimmt, so      hat's gegolten, bis zuletzt. Anno 89 kam Max Franz von Bonn herüber, er hatte hier Geschäfte,      er wollte eine Schule in Ordnung bringen, er wurde nicht fertig in den drei Tagen, er bat den      Rath, ihm den vierten Tag für dießmal zu gestatten. Ich schrieb damals bei dem Herrn, ich habe      die Antwort mundirt. Nein, sagte der Rath, es ist besser, daß eine Schule in Unordnung<lb/></p>
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[0075] und ihr Herren Preußen ins Land kamt, denn jetzo ist es nicht mehr viel mit der Stadt. Wer dazumal die Stadt gesehen hat, der hat was gesehen. Es war so ein Wesen, so eine Art darin, man kann's nicht beschreiben, aber wer's mit durchgemacht hat, vergißt es sein Lebtage nicht. Wenn man so den Sonntag hinüber ging nach Deutz, seinen Schoppen zu trinken im Marienbildchen, dann hieß es rechts und links: Gevatter, geht Ihr auch nach Deutz? Ja, ich gehe auch nach Deutz, antworteten die Andern. Und dann sagten sie Alle zusammen: wer nicht nach Deutz geht, ist kein ächter Kölner. Ja, ja, es war eine Zeit, ich habe sie erlebt. Das Fleisch kostete nicht viel, das Brod wenig, die Fische verdarben fast auf dem Markte, die Stadt steckte nicht so voll Menschen, so voll Mäuler, als jetzt. Wenn man auf den Straßen ging, konnte man doch seine Gedanken zusammenhalten, es war hübsch still und sacht drin, nicht so ein Getriebe und Geschreie, so ein Gehandle und Gewandle als jetzunder. Drei Tage nur durfte der Churfürst hintereinander in der Stadt verweilen, so hat es der Verbundbrief von Anno 1437 bestimmt, so hat's gegolten, bis zuletzt. Anno 89 kam Max Franz von Bonn herüber, er hatte hier Geschäfte, er wollte eine Schule in Ordnung bringen, er wurde nicht fertig in den drei Tagen, er bat den Rath, ihm den vierten Tag für dießmal zu gestatten. Ich schrieb damals bei dem Herrn, ich habe die Antwort mundirt. Nein, sagte der Rath, es ist besser, daß eine Schule in Unordnung

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/75>, abgerufen am 20.05.2024.