Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Geiste der Aufgabe wie im Kampfe zu liegen scheint. Die beiden letzteren Erzählungen sind in den "Miscellen" (Stuttgart und Tübingen, in der I. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1830) erschienen und seither, unseres Wissens, nie wieder abgedruckt worden. Ohne den "Pygmalion" zu unterschätzen, müssen wir den "Carneval" als die bedeutendere der beiden Arbeiten vorziehen; wobei wir es für geeignet halten, über diese Erzählung dem Dichter selbst das Wort zu geben. Er schrieb darüber an Michael Beer (s. dessen Briefwechsel S. 236): "Der Carneval ist nicht Novelle genannt, und wenn man daher den Anspruch strenger Geschlossenheit an ihn macht, so kann er sich mit seinem Titel entschuldigen. Es soll ein Fragment aus Memoiren sein, und wie Memoiren dahin und dorthin schweifen, hier verweilen, dort eilen, so thut es die Composition diesem Gange nach, der sich durch den Wechsel der Einkleidung noch deutlicher in seiner Bescheidenheit manifestirt. Uebrigens hat sie denn doch ein Gesetz, welches sich durch das Ganze zieht, und sie besteht nicht bloß aus Details; denn Alles dreht sich um den Gegensatz beschränkter oder verbrecherischer Energie des Wollens und unpraktischer Weite des Sinnes. Die, welche wollen, bringen es nicht zu Resultaten, und Der, welcher nichts entschieden will, bringt alle Schicksale hervor. Aus diesem Gegensatz entspringen alle Situationen und die Katastrophe." Aus diesen Worten, die mit Recht für die Erzählung trotz ihrer loseren Form den novellistischen Charakter in Anspruch nehmen, scheint doch zugleich ein Gefühl des Problematischen, das dieselbe hat, zusprechen. Indessen, wie dem sein möge, sie verräth in ihrer lebensvollen Darstellung schon den fertigen Meister, wie er in seinem späteren Hauptwerk, an größeren und reineren Aufgaben sich zur Freiheit durcharbeitend, seinem Volke für immer theuer geworden ist. Geiste der Aufgabe wie im Kampfe zu liegen scheint. Die beiden letzteren Erzählungen sind in den „Miscellen“ (Stuttgart und Tübingen, in der I. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1830) erschienen und seither, unseres Wissens, nie wieder abgedruckt worden. Ohne den „Pygmalion“ zu unterschätzen, müssen wir den „Carneval“ als die bedeutendere der beiden Arbeiten vorziehen; wobei wir es für geeignet halten, über diese Erzählung dem Dichter selbst das Wort zu geben. Er schrieb darüber an Michael Beer (s. dessen Briefwechsel S. 236): „Der Carneval ist nicht Novelle genannt, und wenn man daher den Anspruch strenger Geschlossenheit an ihn macht, so kann er sich mit seinem Titel entschuldigen. Es soll ein Fragment aus Memoiren sein, und wie Memoiren dahin und dorthin schweifen, hier verweilen, dort eilen, so thut es die Composition diesem Gange nach, der sich durch den Wechsel der Einkleidung noch deutlicher in seiner Bescheidenheit manifestirt. Uebrigens hat sie denn doch ein Gesetz, welches sich durch das Ganze zieht, und sie besteht nicht bloß aus Details; denn Alles dreht sich um den Gegensatz beschränkter oder verbrecherischer Energie des Wollens und unpraktischer Weite des Sinnes. Die, welche wollen, bringen es nicht zu Resultaten, und Der, welcher nichts entschieden will, bringt alle Schicksale hervor. Aus diesem Gegensatz entspringen alle Situationen und die Katastrophe.“ Aus diesen Worten, die mit Recht für die Erzählung trotz ihrer loseren Form den novellistischen Charakter in Anspruch nehmen, scheint doch zugleich ein Gefühl des Problematischen, das dieselbe hat, zusprechen. Indessen, wie dem sein möge, sie verräth in ihrer lebensvollen Darstellung schon den fertigen Meister, wie er in seinem späteren Hauptwerk, an größeren und reineren Aufgaben sich zur Freiheit durcharbeitend, seinem Volke für immer theuer geworden ist. <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0008"/> Geiste der Aufgabe wie im Kampfe zu liegen scheint. Die beiden letzteren Erzählungen sind in den „Miscellen“ (Stuttgart und Tübingen, in der I. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1830) erschienen und seither, unseres Wissens, nie wieder abgedruckt worden. Ohne den „Pygmalion“ zu unterschätzen, müssen wir den „Carneval“ als die bedeutendere der beiden Arbeiten vorziehen; wobei wir es für geeignet halten, über diese Erzählung dem Dichter selbst das Wort zu geben. Er schrieb darüber an Michael Beer (s. dessen Briefwechsel S. 236): „Der Carneval ist nicht Novelle genannt, und wenn man daher den Anspruch strenger Geschlossenheit an ihn macht, so kann er sich mit seinem Titel entschuldigen. Es soll ein Fragment aus Memoiren sein, und wie Memoiren dahin und dorthin schweifen, hier verweilen, dort eilen, so thut es die Composition diesem Gange nach, der sich durch den Wechsel der Einkleidung noch deutlicher in seiner Bescheidenheit manifestirt. Uebrigens hat sie denn doch ein Gesetz, welches sich durch das Ganze zieht, und sie besteht nicht bloß aus Details; denn Alles dreht sich um den Gegensatz beschränkter oder verbrecherischer Energie des Wollens und unpraktischer Weite des Sinnes. Die, welche wollen, bringen es nicht zu Resultaten, und Der, welcher nichts entschieden will, bringt alle Schicksale hervor. Aus diesem Gegensatz entspringen alle Situationen und die Katastrophe.“ Aus diesen Worten, die mit Recht für die Erzählung trotz ihrer loseren Form den novellistischen Charakter in Anspruch nehmen, scheint doch zugleich ein Gefühl des Problematischen, das dieselbe hat, zusprechen. Indessen, wie dem sein möge, sie verräth in ihrer lebensvollen Darstellung schon den fertigen Meister, wie er in seinem späteren Hauptwerk, an größeren und reineren Aufgaben sich zur Freiheit durcharbeitend, seinem Volke für immer theuer geworden ist.</p><lb/> </div> </front> </text> </TEI> [0008]
Geiste der Aufgabe wie im Kampfe zu liegen scheint. Die beiden letzteren Erzählungen sind in den „Miscellen“ (Stuttgart und Tübingen, in der I. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1830) erschienen und seither, unseres Wissens, nie wieder abgedruckt worden. Ohne den „Pygmalion“ zu unterschätzen, müssen wir den „Carneval“ als die bedeutendere der beiden Arbeiten vorziehen; wobei wir es für geeignet halten, über diese Erzählung dem Dichter selbst das Wort zu geben. Er schrieb darüber an Michael Beer (s. dessen Briefwechsel S. 236): „Der Carneval ist nicht Novelle genannt, und wenn man daher den Anspruch strenger Geschlossenheit an ihn macht, so kann er sich mit seinem Titel entschuldigen. Es soll ein Fragment aus Memoiren sein, und wie Memoiren dahin und dorthin schweifen, hier verweilen, dort eilen, so thut es die Composition diesem Gange nach, der sich durch den Wechsel der Einkleidung noch deutlicher in seiner Bescheidenheit manifestirt. Uebrigens hat sie denn doch ein Gesetz, welches sich durch das Ganze zieht, und sie besteht nicht bloß aus Details; denn Alles dreht sich um den Gegensatz beschränkter oder verbrecherischer Energie des Wollens und unpraktischer Weite des Sinnes. Die, welche wollen, bringen es nicht zu Resultaten, und Der, welcher nichts entschieden will, bringt alle Schicksale hervor. Aus diesem Gegensatz entspringen alle Situationen und die Katastrophe.“ Aus diesen Worten, die mit Recht für die Erzählung trotz ihrer loseren Form den novellistischen Charakter in Anspruch nehmen, scheint doch zugleich ein Gefühl des Problematischen, das dieselbe hat, zusprechen. Indessen, wie dem sein möge, sie verräth in ihrer lebensvollen Darstellung schon den fertigen Meister, wie er in seinem späteren Hauptwerk, an größeren und reineren Aufgaben sich zur Freiheit durcharbeitend, seinem Volke für immer theuer geworden ist.
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