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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Musen vollauf zu thun zu haben glaubte, wenn er, statt sein Flügelroß in freier Bahn nach selbstgewählten Zielen zu spornen, sich damit abmühte, es in dem alten Kreise herumzügelnd die Schule zu reiten.

Um so erfreulicher und befreiender ist es, zu sehen, wie, leider erst gegen den Schluß seines Lebens, Immermann mit voller Energie die Schranken durchbricht und mit dem letzten großen Werk, das er schafft, zugleich seinen eigenen, durchaus dem vollen Leben angehörenden Stoff und eine Form findet, der von fremden Stilweisen Nichts mehr anhängt.

Es ist hier nicht der Ort, nachzuweisen, worin der hohe, bleibende Werth des "Münchhausen" besteht und in wie fern dieser Roman seinem noch von Goethe'schen Nachklängen durchwehten, immerhin schon sehr bedeutenden Vorgänger, den "Epigonen", überlegen ist. Daß der ihm eingewebten, in gewissem Betracht ersten und zugleich schönsten aller "Dorfgeschichten" ein großer Theil des Erfolges zuzuschreiben sei, ist gewiß für die Mehrheit des Publikums wahr. Aber die Größe des Gesammtplans darf daneben nicht übersehen werden, wenn auch die Ausführung der Idee nicht ganz entsprochen haben möchte.

Während aber das Verdienst Immermann's gerade in dem modernsten Gebiet der Dichtung, dem Romane, unbestritten ist und er unter den Meistern deutscher Erzählungskunst stets genannt werden wird, sind seine novellistischen Arbeiten weniger selbständig und bahnbrechend: sie gehören noch früheren Stufen an, auf welchen der Einfluß fremder Muster so mächtig war, daß es zu keiner freien, unbekümmerten Lebensdarstellung kommen konnte, vielmehr sowohl in der Erfindung als in dem Tone der Erzählung die Schule durchklingt. Die noch jugendlichen "Papierfenster eines Eremiten" sind eine unverhüllte Nachahmung des Werther. "Der neue Pygmalion" hat den Stil der Wanderjahre, obwohl man ihm eine selbständigere, echt novellistische Erfindung nicht absprechen wird. "Der Carneval und die Somnambüle" zeigt Tieck'sche Schule, nicht bloß sehr sichtbar in den Carnevalsgesprächen (in welchen übrigens Immermann's Individualität im Widerwillen gegen die Politik ausgesprochen hervortritt), sondern auch verhüllter in der ganzen Anlage, in welcher des Dichters substantielle, auf Gehalt und Tiefe gerichtete Natur mit dem halb fremden

Musen vollauf zu thun zu haben glaubte, wenn er, statt sein Flügelroß in freier Bahn nach selbstgewählten Zielen zu spornen, sich damit abmühte, es in dem alten Kreise herumzügelnd die Schule zu reiten.

Um so erfreulicher und befreiender ist es, zu sehen, wie, leider erst gegen den Schluß seines Lebens, Immermann mit voller Energie die Schranken durchbricht und mit dem letzten großen Werk, das er schafft, zugleich seinen eigenen, durchaus dem vollen Leben angehörenden Stoff und eine Form findet, der von fremden Stilweisen Nichts mehr anhängt.

Es ist hier nicht der Ort, nachzuweisen, worin der hohe, bleibende Werth des „Münchhausen“ besteht und in wie fern dieser Roman seinem noch von Goethe‘schen Nachklängen durchwehten, immerhin schon sehr bedeutenden Vorgänger, den „Epigonen“, überlegen ist. Daß der ihm eingewebten, in gewissem Betracht ersten und zugleich schönsten aller „Dorfgeschichten“ ein großer Theil des Erfolges zuzuschreiben sei, ist gewiß für die Mehrheit des Publikums wahr. Aber die Größe des Gesammtplans darf daneben nicht übersehen werden, wenn auch die Ausführung der Idee nicht ganz entsprochen haben möchte.

Während aber das Verdienst Immermann's gerade in dem modernsten Gebiet der Dichtung, dem Romane, unbestritten ist und er unter den Meistern deutscher Erzählungskunst stets genannt werden wird, sind seine novellistischen Arbeiten weniger selbständig und bahnbrechend: sie gehören noch früheren Stufen an, auf welchen der Einfluß fremder Muster so mächtig war, daß es zu keiner freien, unbekümmerten Lebensdarstellung kommen konnte, vielmehr sowohl in der Erfindung als in dem Tone der Erzählung die Schule durchklingt. Die noch jugendlichen „Papierfenster eines Eremiten“ sind eine unverhüllte Nachahmung des Werther. „Der neue Pygmalion“ hat den Stil der Wanderjahre, obwohl man ihm eine selbständigere, echt novellistische Erfindung nicht absprechen wird. „Der Carneval und die Somnambüle“ zeigt Tieck'sche Schule, nicht bloß sehr sichtbar in den Carnevalsgesprächen (in welchen übrigens Immermann's Individualität im Widerwillen gegen die Politik ausgesprochen hervortritt), sondern auch verhüllter in der ganzen Anlage, in welcher des Dichters substantielle, auf Gehalt und Tiefe gerichtete Natur mit dem halb fremden

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[0007] Musen vollauf zu thun zu haben glaubte, wenn er, statt sein Flügelroß in freier Bahn nach selbstgewählten Zielen zu spornen, sich damit abmühte, es in dem alten Kreise herumzügelnd die Schule zu reiten. Um so erfreulicher und befreiender ist es, zu sehen, wie, leider erst gegen den Schluß seines Lebens, Immermann mit voller Energie die Schranken durchbricht und mit dem letzten großen Werk, das er schafft, zugleich seinen eigenen, durchaus dem vollen Leben angehörenden Stoff und eine Form findet, der von fremden Stilweisen Nichts mehr anhängt. Es ist hier nicht der Ort, nachzuweisen, worin der hohe, bleibende Werth des „Münchhausen“ besteht und in wie fern dieser Roman seinem noch von Goethe‘schen Nachklängen durchwehten, immerhin schon sehr bedeutenden Vorgänger, den „Epigonen“, überlegen ist. Daß der ihm eingewebten, in gewissem Betracht ersten und zugleich schönsten aller „Dorfgeschichten“ ein großer Theil des Erfolges zuzuschreiben sei, ist gewiß für die Mehrheit des Publikums wahr. Aber die Größe des Gesammtplans darf daneben nicht übersehen werden, wenn auch die Ausführung der Idee nicht ganz entsprochen haben möchte. Während aber das Verdienst Immermann's gerade in dem modernsten Gebiet der Dichtung, dem Romane, unbestritten ist und er unter den Meistern deutscher Erzählungskunst stets genannt werden wird, sind seine novellistischen Arbeiten weniger selbständig und bahnbrechend: sie gehören noch früheren Stufen an, auf welchen der Einfluß fremder Muster so mächtig war, daß es zu keiner freien, unbekümmerten Lebensdarstellung kommen konnte, vielmehr sowohl in der Erfindung als in dem Tone der Erzählung die Schule durchklingt. Die noch jugendlichen „Papierfenster eines Eremiten“ sind eine unverhüllte Nachahmung des Werther. „Der neue Pygmalion“ hat den Stil der Wanderjahre, obwohl man ihm eine selbständigere, echt novellistische Erfindung nicht absprechen wird. „Der Carneval und die Somnambüle“ zeigt Tieck'sche Schule, nicht bloß sehr sichtbar in den Carnevalsgesprächen (in welchen übrigens Immermann's Individualität im Widerwillen gegen die Politik ausgesprochen hervortritt), sondern auch verhüllter in der ganzen Anlage, in welcher des Dichters substantielle, auf Gehalt und Tiefe gerichtete Natur mit dem halb fremden

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/7>, abgerufen am 21.11.2024.