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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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den Deckel, und ein kleines Mägdlein von höch-
stens sechs Wochen streckte ihm aus den Lümpchen,
womit der arme Wurm kümmerlich bekleidet war,
wie hülfeflehend die Aermchen entgegen, indem die
kleine Kehle sich wacker in den ersten Lauten übte,
welche die Menschheit von sich giebt.

Uebrigens lag das Kindlein weich in Baum-
wolle gebettet. Sonst aber fanden sich durchaus
keine Amulete, Kleinodien, Kreuze, versiegelte Pa-
piere, welche auf den Ursprung des kleinen Wesens
hindeuteten, und ohne welche ein wohlconditionirter
Romanenfindling sich eigentlich gar nicht sehen las-
sen darf. Kein Maal unter der linken Brust, kein
eingebranntes, oder eingeätztes Zeichen am rechten
Arme, von welchem sich dermaleinst im Schlafe
das Gewand verschieben konnte, daß Jemand, der
zufällig die Schlafende sieht, Soupcon bekommt, und
weiter nachfragt, wie? oder wann? und so fort
-- kurz nichts, gar nichts, so daß mir selbst um
die Wiedererkennung bange wird.

Nur ein graues Blatt Papier lag in der
Schachtel, mit der Nachricht beschrieben, daß das
kleine Mädchen christlich getauft sei und Elisabeth
heiße. Die Worte waren kaum leserlich; der

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den Deckel, und ein kleines Mägdlein von höch-
ſtens ſechs Wochen ſtreckte ihm aus den Lümpchen,
womit der arme Wurm kümmerlich bekleidet war,
wie hülfeflehend die Aermchen entgegen, indem die
kleine Kehle ſich wacker in den erſten Lauten übte,
welche die Menſchheit von ſich giebt.

Uebrigens lag das Kindlein weich in Baum-
wolle gebettet. Sonſt aber fanden ſich durchaus
keine Amulete, Kleinodien, Kreuze, verſiegelte Pa-
piere, welche auf den Urſprung des kleinen Weſens
hindeuteten, und ohne welche ein wohlconditionirter
Romanenfindling ſich eigentlich gar nicht ſehen laſ-
ſen darf. Kein Maal unter der linken Bruſt, kein
eingebranntes, oder eingeätztes Zeichen am rechten
Arme, von welchem ſich dermaleinſt im Schlafe
das Gewand verſchieben konnte, daß Jemand, der
zufällig die Schlafende ſieht, Soupçon bekommt, und
weiter nachfragt, wie? oder wann? und ſo fort
— kurz nichts, gar nichts, ſo daß mir ſelbſt um
die Wiedererkennung bange wird.

Nur ein graues Blatt Papier lag in der
Schachtel, mit der Nachricht beſchrieben, daß das
kleine Mädchen chriſtlich getauft ſei und Eliſabeth
heiße. Die Worte waren kaum leſerlich; der

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[131/0139] den Deckel, und ein kleines Mägdlein von höch- ſtens ſechs Wochen ſtreckte ihm aus den Lümpchen, womit der arme Wurm kümmerlich bekleidet war, wie hülfeflehend die Aermchen entgegen, indem die kleine Kehle ſich wacker in den erſten Lauten übte, welche die Menſchheit von ſich giebt. Uebrigens lag das Kindlein weich in Baum- wolle gebettet. Sonſt aber fanden ſich durchaus keine Amulete, Kleinodien, Kreuze, verſiegelte Pa- piere, welche auf den Urſprung des kleinen Weſens hindeuteten, und ohne welche ein wohlconditionirter Romanenfindling ſich eigentlich gar nicht ſehen laſ- ſen darf. Kein Maal unter der linken Bruſt, kein eingebranntes, oder eingeätztes Zeichen am rechten Arme, von welchem ſich dermaleinſt im Schlafe das Gewand verſchieben konnte, daß Jemand, der zufällig die Schlafende ſieht, Soupçon bekommt, und weiter nachfragt, wie? oder wann? und ſo fort — kurz nichts, gar nichts, ſo daß mir ſelbſt um die Wiedererkennung bange wird. Nur ein graues Blatt Papier lag in der Schachtel, mit der Nachricht beſchrieben, daß das kleine Mädchen chriſtlich getauft ſei und Eliſabeth heiße. Die Worte waren kaum leſerlich; der 9*

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/139>, abgerufen am 17.05.2024.