Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

weiß, das Schicksal, welches unser Leben wendet,
will still erwartet seyn, und darum greift kein un-
gestümes Verlangen im Busen der Entwickelung der
Tage vor, nein, geduldig harrt der gläubige Sinn
des liebenden Weibes auf den seligen Augenblick,
da der goldlackirte Wagen vor dem Schlosse halten
und der Läufer mit Blumenhut und Schurz in die
Thüre springen wird, fragend nach Emerentien,
die in den Stunden der Andacht zu Nizza Marce-
bille hieß. Aber eine feinfühlende zweite Seele,
ein sympathetisches Gemüth wünschest du dir, und
darfst du dir wünschen, arme Emerentia, die Qual
des Harrens zu lindern! Nun, wie steht es um
die Befriedigung dieses Verlangens hier? Welche
Personen umgeben dich? Wirst du in deinen Seuf-
zern von irgend Jemandem, mit dem dich dein
Loos verbunden hat, begriffen? Der gute Vater
ist gut, sehr gut, aber lacht er nicht, wenn du ihm
die Geheimnisse deiner Brust leise und schamhaft
enthüllst? O wie verderblich ist die einseitige Ver-
standescultur, welche der Mensch von Journalen
empfängt! Wie höhlt sie das Herz aus! Und
jener spartanische Pöbelnarr -- -- nein, denke
ihn nicht zu Ende, diesen Narren, dessen cynische

weiß, das Schickſal, welches unſer Leben wendet,
will ſtill erwartet ſeyn, und darum greift kein un-
geſtümes Verlangen im Buſen der Entwickelung der
Tage vor, nein, geduldig harrt der gläubige Sinn
des liebenden Weibes auf den ſeligen Augenblick,
da der goldlackirte Wagen vor dem Schloſſe halten
und der Läufer mit Blumenhut und Schurz in die
Thüre ſpringen wird, fragend nach Emerentien,
die in den Stunden der Andacht zu Nizza Marce-
bille hieß. Aber eine feinfühlende zweite Seele,
ein ſympathetiſches Gemüth wünſcheſt du dir, und
darfſt du dir wünſchen, arme Emerentia, die Qual
des Harrens zu lindern! Nun, wie ſteht es um
die Befriedigung dieſes Verlangens hier? Welche
Perſonen umgeben dich? Wirſt du in deinen Seuf-
zern von irgend Jemandem, mit dem dich dein
Loos verbunden hat, begriffen? Der gute Vater
iſt gut, ſehr gut, aber lacht er nicht, wenn du ihm
die Geheimniſſe deiner Bruſt leiſe und ſchamhaft
enthüllſt? O wie verderblich iſt die einſeitige Ver-
ſtandescultur, welche der Menſch von Journalen
empfängt! Wie höhlt ſie das Herz aus! Und
jener ſpartaniſche Pöbelnarr — — nein, denke
ihn nicht zu Ende, dieſen Narren, deſſen cyniſche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0178" n="170"/>
weiß, das Schick&#x017F;al, welches un&#x017F;er Leben wendet,<lb/>
will &#x017F;till erwartet &#x017F;eyn, und darum greift kein un-<lb/>
ge&#x017F;tümes Verlangen im Bu&#x017F;en der Entwickelung der<lb/>
Tage vor, nein, geduldig harrt der gläubige Sinn<lb/>
des liebenden Weibes auf den &#x017F;eligen Augenblick,<lb/>
da der goldlackirte Wagen vor dem Schlo&#x017F;&#x017F;e halten<lb/>
und der Läufer mit Blumenhut und Schurz in die<lb/>
Thüre &#x017F;pringen wird, fragend nach Emerentien,<lb/>
die in den Stunden der Andacht zu Nizza Marce-<lb/>
bille hieß. Aber eine feinfühlende zweite Seele,<lb/>
ein &#x017F;ympatheti&#x017F;ches Gemüth wün&#x017F;che&#x017F;t du dir, und<lb/>
darf&#x017F;t du dir wün&#x017F;chen, arme Emerentia, die Qual<lb/>
des Harrens zu lindern! Nun, wie &#x017F;teht es um<lb/>
die Befriedigung die&#x017F;es Verlangens hier? Welche<lb/>
Per&#x017F;onen umgeben dich? Wir&#x017F;t du in deinen Seuf-<lb/>
zern von irgend Jemandem, mit dem dich dein<lb/>
Loos verbunden hat, begriffen? Der gute Vater<lb/>
i&#x017F;t gut, &#x017F;ehr gut, aber lacht er nicht, wenn du ihm<lb/>
die Geheimni&#x017F;&#x017F;e deiner Bru&#x017F;t lei&#x017F;e und &#x017F;chamhaft<lb/>
enthüll&#x017F;t? O wie verderblich i&#x017F;t die ein&#x017F;eitige Ver-<lb/>
&#x017F;tandescultur, welche der Men&#x017F;ch von Journalen<lb/>
empfängt! Wie höhlt &#x017F;ie das Herz aus! Und<lb/>
jener &#x017F;partani&#x017F;che Pöbelnarr &#x2014; &#x2014; nein, denke<lb/>
ihn nicht zu Ende, die&#x017F;en Narren, de&#x017F;&#x017F;en cyni&#x017F;che<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0178] weiß, das Schickſal, welches unſer Leben wendet, will ſtill erwartet ſeyn, und darum greift kein un- geſtümes Verlangen im Buſen der Entwickelung der Tage vor, nein, geduldig harrt der gläubige Sinn des liebenden Weibes auf den ſeligen Augenblick, da der goldlackirte Wagen vor dem Schloſſe halten und der Läufer mit Blumenhut und Schurz in die Thüre ſpringen wird, fragend nach Emerentien, die in den Stunden der Andacht zu Nizza Marce- bille hieß. Aber eine feinfühlende zweite Seele, ein ſympathetiſches Gemüth wünſcheſt du dir, und darfſt du dir wünſchen, arme Emerentia, die Qual des Harrens zu lindern! Nun, wie ſteht es um die Befriedigung dieſes Verlangens hier? Welche Perſonen umgeben dich? Wirſt du in deinen Seuf- zern von irgend Jemandem, mit dem dich dein Loos verbunden hat, begriffen? Der gute Vater iſt gut, ſehr gut, aber lacht er nicht, wenn du ihm die Geheimniſſe deiner Bruſt leiſe und ſchamhaft enthüllſt? O wie verderblich iſt die einſeitige Ver- ſtandescultur, welche der Menſch von Journalen empfängt! Wie höhlt ſie das Herz aus! Und jener ſpartaniſche Pöbelnarr — — nein, denke ihn nicht zu Ende, dieſen Narren, deſſen cyniſche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/178
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/178>, abgerufen am 28.11.2024.