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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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Spiegel, oder erinnere sich, wie sie an ihrem Braut-
tage ausgesehen hat, so wird die Lisbeth vor allen
Leuten dastehen, wie sie leibt und lebt.

Der Hofschulze ging, ohne sich vorläufig um
die langhaarigen, bekittelten Nachbarn zu kümmern,
auf seinen blühenden Gast zu und sagte: Nun?
Gut geschlafen, Mamsellchen?

Prächtig, versetzte Lisbeth.

Was haben Sie denn am Finger? Sie tragen
ihn ja verbunden? fragte der Alte.

Nichts, antwortete das junge Mädchen und
errothete. Sie wollte eine andere Unterredung
anfangen. Der Hofschulze ließ sich aber nicht irren,
ergriff ihre Hand, an welcher sie den Finger ver-
bunden trug und rief: Es ist doch nicht schlimm?

Nicht der Rede werth, versetzte Lisbeth. Als
ich Eurer Tochter gestern Abend nähen half, fuhr
mir die Nadel in den Finger, und da hat er
geblutet, das ist Alles.

Ei! Ei! sagte der Hofschulze schmunzelnd,
und wie ich sehe, ist es sogar der Ringfinger; das
bedeutet was Gutes. Wissen Sie wohl, daß wenn
eine Jungfer einer Braut hilft am Brautlinnen
nähen und verwundet sich am Ringfinger, sie

Spiegel, oder erinnere ſich, wie ſie an ihrem Braut-
tage ausgeſehen hat, ſo wird die Lisbeth vor allen
Leuten daſtehen, wie ſie leibt und lebt.

Der Hofſchulze ging, ohne ſich vorläufig um
die langhaarigen, bekittelten Nachbarn zu kümmern,
auf ſeinen blühenden Gaſt zu und ſagte: Nun?
Gut geſchlafen, Mamſellchen?

Prächtig, verſetzte Lisbeth.

Was haben Sie denn am Finger? Sie tragen
ihn ja verbunden? fragte der Alte.

Nichts, antwortete das junge Mädchen und
errothete. Sie wollte eine andere Unterredung
anfangen. Der Hofſchulze ließ ſich aber nicht irren,
ergriff ihre Hand, an welcher ſie den Finger ver-
bunden trug und rief: Es iſt doch nicht ſchlimm?

Nicht der Rede werth, verſetzte Lisbeth. Als
ich Eurer Tochter geſtern Abend nähen half, fuhr
mir die Nadel in den Finger, und da hat er
geblutet, das iſt Alles.

Ei! Ei! ſagte der Hofſchulze ſchmunzelnd,
und wie ich ſehe, iſt es ſogar der Ringfinger; das
bedeutet was Gutes. Wiſſen Sie wohl, daß wenn
eine Jungfer einer Braut hilft am Brautlinnen
nähen und verwundet ſich am Ringfinger, ſie

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[268/0276] Spiegel, oder erinnere ſich, wie ſie an ihrem Braut- tage ausgeſehen hat, ſo wird die Lisbeth vor allen Leuten daſtehen, wie ſie leibt und lebt. Der Hofſchulze ging, ohne ſich vorläufig um die langhaarigen, bekittelten Nachbarn zu kümmern, auf ſeinen blühenden Gaſt zu und ſagte: Nun? Gut geſchlafen, Mamſellchen? Prächtig, verſetzte Lisbeth. Was haben Sie denn am Finger? Sie tragen ihn ja verbunden? fragte der Alte. Nichts, antwortete das junge Mädchen und errothete. Sie wollte eine andere Unterredung anfangen. Der Hofſchulze ließ ſich aber nicht irren, ergriff ihre Hand, an welcher ſie den Finger ver- bunden trug und rief: Es iſt doch nicht ſchlimm? Nicht der Rede werth, verſetzte Lisbeth. Als ich Eurer Tochter geſtern Abend nähen half, fuhr mir die Nadel in den Finger, und da hat er geblutet, das iſt Alles. Ei! Ei! ſagte der Hofſchulze ſchmunzelnd, und wie ich ſehe, iſt es ſogar der Ringfinger; das bedeutet was Gutes. Wiſſen Sie wohl, daß wenn eine Jungfer einer Braut hilft am Brautlinnen nähen und verwundet ſich am Ringfinger, ſie

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/276>, abgerufen am 25.11.2024.