westphälischen Hügelebene, wo ich bei Menschen und Vieh seit acht Tagen einquartirt bin. Und zwar recht eigentlich bei Menschen und Vieh, denn die Kühe stehen mit im Hause zu beiden Seiten des großen Flurs, was aber gar nichts Unange- nehmes oder Unreinliches hat, vielmehr den Ein- druck patriarchalischer Wirthschaft vermehren hilft. Vor meinem Fenster rauschen Eichenwipfel, und neben denen hin sehe ich auf lange, lange Wiesen und wallende Kornfelder, zwischen denen sich dann wieder jezuweilen ein Eichenkamp mit einem einzel- nen Gehöfte erhebt. Denn hier geht es noch zu, wie zu Tacitus Zeiten. "Colunt discreti ac diversi, ut fons, ut campus, ut nemus placuit." Darum ist denn auch so ein einzelner Hof ein kleiner Staat für sich, rund abgeschlossen, und der Herr darin so gut König, als der König auf dem Throne.
Mein Wirth ist ein alter prächtiger Kerl. Er heißt Hofschulze, obgleich er gewiß noch einen andern Namen führt, denn jener bezieht sich ja nur auf den Besitz seines Eigenthums. Ich höre aber, daß dieß überall hier so gehalten wird. Nur der Hof hat meistentheils einen Namen, der Name des Besitzers geht in dem der Scholle unter. Daher
weſtphäliſchen Hügelebene, wo ich bei Menſchen und Vieh ſeit acht Tagen einquartirt bin. Und zwar recht eigentlich bei Menſchen und Vieh, denn die Kühe ſtehen mit im Hauſe zu beiden Seiten des großen Flurs, was aber gar nichts Unange- nehmes oder Unreinliches hat, vielmehr den Ein- druck patriarchaliſcher Wirthſchaft vermehren hilft. Vor meinem Fenſter rauſchen Eichenwipfel, und neben denen hin ſehe ich auf lange, lange Wieſen und wallende Kornfelder, zwiſchen denen ſich dann wieder jezuweilen ein Eichenkamp mit einem einzel- nen Gehöfte erhebt. Denn hier geht es noch zu, wie zu Tacitus Zeiten. „Colunt discreti ac diversi, ut fons, ut campus, ut nemus placuit.“ Darum iſt denn auch ſo ein einzelner Hof ein kleiner Staat für ſich, rund abgeſchloſſen, und der Herr darin ſo gut König, als der König auf dem Throne.
Mein Wirth iſt ein alter prächtiger Kerl. Er heißt Hofſchulze, obgleich er gewiß noch einen andern Namen führt, denn jener bezieht ſich ja nur auf den Beſitz ſeines Eigenthums. Ich höre aber, daß dieß überall hier ſo gehalten wird. Nur der Hof hat meiſtentheils einen Namen, der Name des Beſitzers geht in dem der Scholle unter. Daher
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0349"n="341"/>
weſtphäliſchen Hügelebene, wo ich bei Menſchen<lb/>
und Vieh ſeit acht Tagen einquartirt bin. Und<lb/>
zwar recht eigentlich bei Menſchen und Vieh, denn<lb/>
die Kühe ſtehen mit im Hauſe zu beiden Seiten<lb/>
des großen Flurs, was aber gar nichts Unange-<lb/>
nehmes oder Unreinliches hat, vielmehr den Ein-<lb/>
druck patriarchaliſcher Wirthſchaft vermehren hilft.<lb/>
Vor meinem Fenſter rauſchen Eichenwipfel, und<lb/>
neben denen hin ſehe ich auf lange, lange Wieſen<lb/>
und wallende Kornfelder, zwiſchen denen ſich dann<lb/>
wieder jezuweilen ein Eichenkamp mit einem einzel-<lb/>
nen Gehöfte erhebt. Denn hier geht es noch zu, wie<lb/>
zu Tacitus Zeiten. <hirendition="#aq">„Colunt discreti ac diversi,<lb/>
ut fons, ut campus, ut nemus placuit.“</hi> Darum<lb/>
iſt denn auch ſo ein einzelner Hof ein kleiner Staat<lb/>
für ſich, rund abgeſchloſſen, und der Herr darin ſo<lb/>
gut König, als der König auf dem Throne.</p><lb/><p>Mein Wirth iſt ein alter prächtiger Kerl. Er<lb/>
heißt Hofſchulze, obgleich er gewiß noch einen andern<lb/>
Namen führt, denn jener bezieht ſich ja nur auf<lb/>
den Beſitz ſeines Eigenthums. Ich höre aber, daß<lb/>
dieß überall hier ſo gehalten wird. Nur der Hof<lb/>
hat meiſtentheils einen Namen, der Name des<lb/>
Beſitzers geht in dem der Scholle unter. Daher<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[341/0349]
weſtphäliſchen Hügelebene, wo ich bei Menſchen
und Vieh ſeit acht Tagen einquartirt bin. Und
zwar recht eigentlich bei Menſchen und Vieh, denn
die Kühe ſtehen mit im Hauſe zu beiden Seiten
des großen Flurs, was aber gar nichts Unange-
nehmes oder Unreinliches hat, vielmehr den Ein-
druck patriarchaliſcher Wirthſchaft vermehren hilft.
Vor meinem Fenſter rauſchen Eichenwipfel, und
neben denen hin ſehe ich auf lange, lange Wieſen
und wallende Kornfelder, zwiſchen denen ſich dann
wieder jezuweilen ein Eichenkamp mit einem einzel-
nen Gehöfte erhebt. Denn hier geht es noch zu, wie
zu Tacitus Zeiten. „Colunt discreti ac diversi,
ut fons, ut campus, ut nemus placuit.“ Darum
iſt denn auch ſo ein einzelner Hof ein kleiner Staat
für ſich, rund abgeſchloſſen, und der Herr darin ſo
gut König, als der König auf dem Throne.
Mein Wirth iſt ein alter prächtiger Kerl. Er
heißt Hofſchulze, obgleich er gewiß noch einen andern
Namen führt, denn jener bezieht ſich ja nur auf
den Beſitz ſeines Eigenthums. Ich höre aber, daß
dieß überall hier ſo gehalten wird. Nur der Hof
hat meiſtentheils einen Namen, der Name des
Beſitzers geht in dem der Scholle unter. Daher
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/349>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.