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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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mer vor, darin die Kräfte nach ihren eigenen Rech-
ten hin- und herfahren, sausen und weben, und
Gebild schaffen, dessen Figur kein Verstand vorher-
sieht und auf welches Niemand gefaßt ist. Abscheu
kann Lust, Furcht kann Muth, Sehnsucht Ekel
erzeugen, und ist Niemand, der den Stammbaum die-
ser und ähnlicher Zeugungen aufzurichten vermöchte.

Davon verstehe ich wirklich nichts, und geht
mich auch nichts an, sagte der Hofschulze. Aber
aus der Geschichte, welche Sie da so plaisirlich
erzählt haben, ziehe ich eine dreifache Moral.

Ihr haltet sehr viel auf Moral.

Die Moral unterscheidet uns von dem Vieh,
versetzte der Hofschulze feierlich. Das Vieh hat
eigentlich Alles besser als die Menschencreatur, es
findet den Weg sicherer, es hat sein ihm gewiese-
nes Futter und lüstert nicht nach Anderem, es
trägt seinen Rock anerschaffen auf seinem Leibe,
es fürchtet sich nicht vor dem Tode, es treibt keine
unnütze Wollust, aber Moral hat das Vieh nicht;
Moral hat nur der Mensch.

Und in meiner Geschichte stecken drei Moralen?

Drei. Die will ich Ihnen jetzt auch nicht vor-
enthalten, junger Herr Jäger.



mer vor, darin die Kräfte nach ihren eigenen Rech-
ten hin- und herfahren, ſauſen und weben, und
Gebild ſchaffen, deſſen Figur kein Verſtand vorher-
ſieht und auf welches Niemand gefaßt iſt. Abſcheu
kann Luſt, Furcht kann Muth, Sehnſucht Ekel
erzeugen, und iſt Niemand, der den Stammbaum die-
ſer und ähnlicher Zeugungen aufzurichten vermöchte.

Davon verſtehe ich wirklich nichts, und geht
mich auch nichts an, ſagte der Hofſchulze. Aber
aus der Geſchichte, welche Sie da ſo plaiſirlich
erzählt haben, ziehe ich eine dreifache Moral.

Ihr haltet ſehr viel auf Moral.

Die Moral unterſcheidet uns von dem Vieh,
verſetzte der Hofſchulze feierlich. Das Vieh hat
eigentlich Alles beſſer als die Menſchencreatur, es
findet den Weg ſicherer, es hat ſein ihm gewieſe-
nes Futter und lüſtert nicht nach Anderem, es
trägt ſeinen Rock anerſchaffen auf ſeinem Leibe,
es fürchtet ſich nicht vor dem Tode, es treibt keine
unnütze Wolluſt, aber Moral hat das Vieh nicht;
Moral hat nur der Menſch.

Und in meiner Geſchichte ſtecken drei Moralen?

Drei. Die will ich Ihnen jetzt auch nicht vor-
enthalten, junger Herr Jäger.



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[365/0373] mer vor, darin die Kräfte nach ihren eigenen Rech- ten hin- und herfahren, ſauſen und weben, und Gebild ſchaffen, deſſen Figur kein Verſtand vorher- ſieht und auf welches Niemand gefaßt iſt. Abſcheu kann Luſt, Furcht kann Muth, Sehnſucht Ekel erzeugen, und iſt Niemand, der den Stammbaum die- ſer und ähnlicher Zeugungen aufzurichten vermöchte. Davon verſtehe ich wirklich nichts, und geht mich auch nichts an, ſagte der Hofſchulze. Aber aus der Geſchichte, welche Sie da ſo plaiſirlich erzählt haben, ziehe ich eine dreifache Moral. Ihr haltet ſehr viel auf Moral. Die Moral unterſcheidet uns von dem Vieh, verſetzte der Hofſchulze feierlich. Das Vieh hat eigentlich Alles beſſer als die Menſchencreatur, es findet den Weg ſicherer, es hat ſein ihm gewieſe- nes Futter und lüſtert nicht nach Anderem, es trägt ſeinen Rock anerſchaffen auf ſeinem Leibe, es fürchtet ſich nicht vor dem Tode, es treibt keine unnütze Wolluſt, aber Moral hat das Vieh nicht; Moral hat nur der Menſch. Und in meiner Geſchichte ſtecken drei Moralen? Drei. Die will ich Ihnen jetzt auch nicht vor- enthalten, junger Herr Jäger.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/373>, abgerufen am 22.11.2024.