Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

und der Situation, in welcher sie vorgefallen
waren. -- Das wird auch anderwärts nicht vorkom-
men, daß ein armer Pastor, hinter seiner Hühnerkarre
herschreitend, sich an der unsterblichen Idee der Nation
begeistert, sagte er. Lächerlich und erhaben! Lächer-
lich, weil das Erhabene auch durch das Aermlichste
und Kleinste bei uns hindurchsieht und die Formen
des Geringen siegreich zerbricht! Wie reich bist
du, mein Vaterland!

Sein Fuß betrat frisches, feuchtes Wiesengrün,
besäumt von Büschen, unter denen ein klares Was-
ser rann. Dieser vollen, gesunden, jungen Seele
thaten noch symbolische Handlungen Noth, sich und
ihrem Drange zu genügen. In kurzer Entfernung
zeigten sich kleine Felsen, über die ein schmales,
schlüpfriges Pfädchen lief. Er ging hinüber,
klomm zwischen den Klippen nieder, streifte den
Aermel auf, ritzte das Fleisch seines Armes und
ließ das Blut in das Wasser rinnen, indem er ein
stilles, frommes Gelübde ohne Worte sprach. Er
legte den Arm in das Wasser, die Fluth kühlte
ihm mit anmuthigem Schauder das heiße Blut ab.
So, halb knieend, halb sitzend an den feuchten,
dunkeln, umklippten Orte blickte er seitwärts in

und der Situation, in welcher ſie vorgefallen
waren. — Das wird auch anderwärts nicht vorkom-
men, daß ein armer Paſtor, hinter ſeiner Hühnerkarre
herſchreitend, ſich an der unſterblichen Idee der Nation
begeiſtert, ſagte er. Lächerlich und erhaben! Lächer-
lich, weil das Erhabene auch durch das Aermlichſte
und Kleinſte bei uns hindurchſieht und die Formen
des Geringen ſiegreich zerbricht! Wie reich biſt
du, mein Vaterland!

Sein Fuß betrat friſches, feuchtes Wieſengrün,
beſäumt von Büſchen, unter denen ein klares Waſ-
ſer rann. Dieſer vollen, geſunden, jungen Seele
thaten noch ſymboliſche Handlungen Noth, ſich und
ihrem Drange zu genügen. In kurzer Entfernung
zeigten ſich kleine Felſen, über die ein ſchmales,
ſchlüpfriges Pfädchen lief. Er ging hinüber,
klomm zwiſchen den Klippen nieder, ſtreifte den
Aermel auf, ritzte das Fleiſch ſeines Armes und
ließ das Blut in das Waſſer rinnen, indem er ein
ſtilles, frommes Gelübde ohne Worte ſprach. Er
legte den Arm in das Waſſer, die Fluth kühlte
ihm mit anmuthigem Schauder das heiße Blut ab.
So, halb knieend, halb ſitzend an den feuchten,
dunkeln, umklippten Orte blickte er ſeitwärts in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0419" n="411"/>
und der Situation, in welcher &#x017F;ie vorgefallen<lb/>
waren. &#x2014; Das wird auch anderwärts nicht vorkom-<lb/>
men, daß ein armer Pa&#x017F;tor, hinter &#x017F;einer Hühnerkarre<lb/>
her&#x017F;chreitend, &#x017F;ich an der un&#x017F;terblichen Idee der Nation<lb/>
begei&#x017F;tert, &#x017F;agte er. Lächerlich und erhaben! Lächer-<lb/>
lich, weil das Erhabene auch durch das Aermlich&#x017F;te<lb/>
und Klein&#x017F;te bei uns hindurch&#x017F;ieht und die Formen<lb/>
des Geringen &#x017F;iegreich zerbricht! Wie reich bi&#x017F;t<lb/>
du, mein Vaterland!</p><lb/>
          <p>Sein Fuß betrat fri&#x017F;ches, feuchtes Wie&#x017F;engrün,<lb/>
be&#x017F;äumt von Bü&#x017F;chen, unter denen ein klares Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er rann. Die&#x017F;er vollen, ge&#x017F;unden, jungen Seele<lb/>
thaten noch &#x017F;ymboli&#x017F;che Handlungen Noth, &#x017F;ich und<lb/>
ihrem Drange zu genügen. In kurzer Entfernung<lb/>
zeigten &#x017F;ich kleine Fel&#x017F;en, über die ein &#x017F;chmales,<lb/>
&#x017F;chlüpfriges Pfädchen lief. Er ging hinüber,<lb/>
klomm zwi&#x017F;chen den Klippen nieder, &#x017F;treifte den<lb/>
Aermel auf, ritzte das Flei&#x017F;ch &#x017F;eines Armes und<lb/>
ließ das Blut in das Wa&#x017F;&#x017F;er rinnen, indem er ein<lb/>
&#x017F;tilles, frommes Gelübde ohne Worte &#x017F;prach. Er<lb/>
legte den Arm in das Wa&#x017F;&#x017F;er, die Fluth kühlte<lb/>
ihm mit anmuthigem Schauder das heiße Blut ab.<lb/>
So, halb knieend, halb &#x017F;itzend an den feuchten,<lb/>
dunkeln, umklippten Orte blickte er &#x017F;eitwärts in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[411/0419] und der Situation, in welcher ſie vorgefallen waren. — Das wird auch anderwärts nicht vorkom- men, daß ein armer Paſtor, hinter ſeiner Hühnerkarre herſchreitend, ſich an der unſterblichen Idee der Nation begeiſtert, ſagte er. Lächerlich und erhaben! Lächer- lich, weil das Erhabene auch durch das Aermlichſte und Kleinſte bei uns hindurchſieht und die Formen des Geringen ſiegreich zerbricht! Wie reich biſt du, mein Vaterland! Sein Fuß betrat friſches, feuchtes Wieſengrün, beſäumt von Büſchen, unter denen ein klares Waſ- ſer rann. Dieſer vollen, geſunden, jungen Seele thaten noch ſymboliſche Handlungen Noth, ſich und ihrem Drange zu genügen. In kurzer Entfernung zeigten ſich kleine Felſen, über die ein ſchmales, ſchlüpfriges Pfädchen lief. Er ging hinüber, klomm zwiſchen den Klippen nieder, ſtreifte den Aermel auf, ritzte das Fleiſch ſeines Armes und ließ das Blut in das Waſſer rinnen, indem er ein ſtilles, frommes Gelübde ohne Worte ſprach. Er legte den Arm in das Waſſer, die Fluth kühlte ihm mit anmuthigem Schauder das heiße Blut ab. So, halb knieend, halb ſitzend an den feuchten, dunkeln, umklippten Orte blickte er ſeitwärts in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/419
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/419>, abgerufen am 22.11.2024.