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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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gleichwohl noch innerhalb der Ringmauern der Stadt
lag. Auf demselben erhob sich eine alte gothische
Kirche, grün wie die Wiese. Der Jäger konnte
an ihrem Anblicke sein Auge nicht ersättigen.
Theils war schon die Farbe des Sandsteins, wie
sie bezeichnet worden, äußerst eigen; theils aber
hatte die Natur auch ihr willkührlichstes Spiel
mit dem lockeren und mürben Material getrieben,
und in dem reichen Pfeiler- und Schnitzwerk, an
den Kanten und Ecken durch Regenschlag und Nässe
ganz neue Figurationen hervorgebracht, so daß das
Gebäude wenigstens stellenweise aussah, als sei
es nicht aus des Menschen, sondern aus ihrer Hand
hervorgegangen. -- Wie sonderbare Symbole wer-
den oft um uns hergestellt! rief der Jäger. Hier
steht die Kirche, an welcher, mindestens an deren
Ornamenten sich nicht unterscheiden läßt, was davon
der Baumeister gewollt, und was Zeit und Wetter
hinzugefügt haben, und gestern erschien mir an
einer Blume im Walde ein schönes Mädchen.

Der Diaconus fragte näher nach, und der Jä-
ger erzählte ihm mit glänzenden Augen und beweg-
ter Stimme sein Waldabentheuer. Nach Ihrer
Beschreibung zu urtheilen, sind Sie mit der blonden

gleichwohl noch innerhalb der Ringmauern der Stadt
lag. Auf demſelben erhob ſich eine alte gothiſche
Kirche, grün wie die Wieſe. Der Jäger konnte
an ihrem Anblicke ſein Auge nicht erſättigen.
Theils war ſchon die Farbe des Sandſteins, wie
ſie bezeichnet worden, äußerſt eigen; theils aber
hatte die Natur auch ihr willkührlichſtes Spiel
mit dem lockeren und mürben Material getrieben,
und in dem reichen Pfeiler- und Schnitzwerk, an
den Kanten und Ecken durch Regenſchlag und Näſſe
ganz neue Figurationen hervorgebracht, ſo daß das
Gebäude wenigſtens ſtellenweiſe ausſah, als ſei
es nicht aus des Menſchen, ſondern aus ihrer Hand
hervorgegangen. — Wie ſonderbare Symbole wer-
den oft um uns hergeſtellt! rief der Jäger. Hier
ſteht die Kirche, an welcher, mindeſtens an deren
Ornamenten ſich nicht unterſcheiden läßt, was davon
der Baumeiſter gewollt, und was Zeit und Wetter
hinzugefügt haben, und geſtern erſchien mir an
einer Blume im Walde ein ſchönes Mädchen.

Der Diaconus fragte näher nach, und der Jä-
ger erzählte ihm mit glänzenden Augen und beweg-
ter Stimme ſein Waldabentheuer. Nach Ihrer
Beſchreibung zu urtheilen, ſind Sie mit der blonden

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[429/0437] gleichwohl noch innerhalb der Ringmauern der Stadt lag. Auf demſelben erhob ſich eine alte gothiſche Kirche, grün wie die Wieſe. Der Jäger konnte an ihrem Anblicke ſein Auge nicht erſättigen. Theils war ſchon die Farbe des Sandſteins, wie ſie bezeichnet worden, äußerſt eigen; theils aber hatte die Natur auch ihr willkührlichſtes Spiel mit dem lockeren und mürben Material getrieben, und in dem reichen Pfeiler- und Schnitzwerk, an den Kanten und Ecken durch Regenſchlag und Näſſe ganz neue Figurationen hervorgebracht, ſo daß das Gebäude wenigſtens ſtellenweiſe ausſah, als ſei es nicht aus des Menſchen, ſondern aus ihrer Hand hervorgegangen. — Wie ſonderbare Symbole wer- den oft um uns hergeſtellt! rief der Jäger. Hier ſteht die Kirche, an welcher, mindeſtens an deren Ornamenten ſich nicht unterſcheiden läßt, was davon der Baumeiſter gewollt, und was Zeit und Wetter hinzugefügt haben, und geſtern erſchien mir an einer Blume im Walde ein ſchönes Mädchen. Der Diaconus fragte näher nach, und der Jä- ger erzählte ihm mit glänzenden Augen und beweg- ter Stimme ſein Waldabentheuer. Nach Ihrer Beſchreibung zu urtheilen, ſind Sie mit der blonden

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/437>, abgerufen am 13.06.2024.