Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Janitscharencadettenuniform für einen abgestreiften
Balg und meine heile, weiße Haut für geschunden
ansahen, beschloß indessen Achtung vor dieser Volks-
meinung zu haben und nicht übereilt mir durch
Eröffnung einer höheren Wahrheit bei den Ziegen
zu schaden. Indessen war ich doch bald genöthigt,
Einspruch zu thun, denn alle Ziegen leckten in
ihrer wohlthätigen Absicht so eifrig an mir umher,
daß ich es vor Kitzel nicht länger aushalten konnte.
Ich ergriff daher das rechte Vorderbein derjenigen
Ziege, welche mir die älteste und verständigste zu
seyn schien, mit meinen kindlichen Händen, drückte
es an mein Herz und sagte: Ehrwürdige Mutter,
ich danke Ihnen. Genug nun des Leckens! Ver-
trauen Sie der Natur, und überlassen Sie ihr die
Nachheilung meiner Ihrer Ansicht zu Folge wunden
und geschundenen Haut! -- Wirklich ließen die gut-
müthigen Ziegen, sobald sie meinen Wunsch ver-
nommen hatten, von ihrer Leckkur ab.

Die Zicklein, welche bisher diese Scene der
Barmherzigkeit mit possirlichen Mienen und Ge-
bärden umstanden hatten, drängten sich jetzt, entsetzt
seitwärts blickend, den Müttern so innig an, wie
die jüngste der Niobiden dem Schooße, der sie doch

Janitſcharencadettenuniform für einen abgeſtreiften
Balg und meine heile, weiße Haut für geſchunden
anſahen, beſchloß indeſſen Achtung vor dieſer Volks-
meinung zu haben und nicht übereilt mir durch
Eröffnung einer höheren Wahrheit bei den Ziegen
zu ſchaden. Indeſſen war ich doch bald genöthigt,
Einſpruch zu thun, denn alle Ziegen leckten in
ihrer wohlthätigen Abſicht ſo eifrig an mir umher,
daß ich es vor Kitzel nicht länger aushalten konnte.
Ich ergriff daher das rechte Vorderbein derjenigen
Ziege, welche mir die älteſte und verſtändigſte zu
ſeyn ſchien, mit meinen kindlichen Händen, drückte
es an mein Herz und ſagte: Ehrwürdige Mutter,
ich danke Ihnen. Genug nun des Leckens! Ver-
trauen Sie der Natur, und überlaſſen Sie ihr die
Nachheilung meiner Ihrer Anſicht zu Folge wunden
und geſchundenen Haut! — Wirklich ließen die gut-
müthigen Ziegen, ſobald ſie meinen Wunſch ver-
nommen hatten, von ihrer Leckkur ab.

Die Zicklein, welche bisher dieſe Scene der
Barmherzigkeit mit poſſirlichen Mienen und Ge-
bärden umſtanden hatten, drängten ſich jetzt, entſetzt
ſeitwärts blickend, den Müttern ſo innig an, wie
die jüngſte der Niobiden dem Schooße, der ſie doch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0145" n="127"/>
Janit&#x017F;charencadettenuniform für einen abge&#x017F;treiften<lb/>
Balg und meine heile, weiße Haut für ge&#x017F;chunden<lb/>
an&#x017F;ahen, be&#x017F;chloß inde&#x017F;&#x017F;en Achtung vor die&#x017F;er Volks-<lb/>
meinung zu haben und nicht übereilt mir durch<lb/>
Eröffnung einer höheren Wahrheit bei den Ziegen<lb/>
zu &#x017F;chaden. Inde&#x017F;&#x017F;en war ich doch bald genöthigt,<lb/>
Ein&#x017F;pruch zu thun, denn alle Ziegen leckten in<lb/>
ihrer wohlthätigen Ab&#x017F;icht &#x017F;o eifrig an mir umher,<lb/>
daß ich es vor Kitzel nicht länger aushalten konnte.<lb/>
Ich ergriff daher das rechte Vorderbein derjenigen<lb/>
Ziege, welche mir die älte&#x017F;te und ver&#x017F;tändig&#x017F;te zu<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;chien, mit meinen kindlichen Händen, drückte<lb/>
es an mein Herz und &#x017F;agte: Ehrwürdige Mutter,<lb/>
ich danke Ihnen. Genug nun des Leckens! Ver-<lb/>
trauen Sie der Natur, und überla&#x017F;&#x017F;en Sie ihr die<lb/>
Nachheilung meiner Ihrer An&#x017F;icht zu Folge wunden<lb/>
und ge&#x017F;chundenen Haut! &#x2014; Wirklich ließen die gut-<lb/>
müthigen Ziegen, &#x017F;obald &#x017F;ie meinen Wun&#x017F;ch ver-<lb/>
nommen hatten, von ihrer Leckkur ab.</p><lb/>
          <p>Die Zicklein, welche bisher die&#x017F;e Scene der<lb/>
Barmherzigkeit mit po&#x017F;&#x017F;irlichen Mienen und Ge-<lb/>
bärden um&#x017F;tanden hatten, drängten &#x017F;ich jetzt, ent&#x017F;etzt<lb/>
&#x017F;eitwärts blickend, den Müttern &#x017F;o innig an, wie<lb/>
die jüng&#x017F;te der Niobiden dem Schooße, der &#x017F;ie doch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0145] Janitſcharencadettenuniform für einen abgeſtreiften Balg und meine heile, weiße Haut für geſchunden anſahen, beſchloß indeſſen Achtung vor dieſer Volks- meinung zu haben und nicht übereilt mir durch Eröffnung einer höheren Wahrheit bei den Ziegen zu ſchaden. Indeſſen war ich doch bald genöthigt, Einſpruch zu thun, denn alle Ziegen leckten in ihrer wohlthätigen Abſicht ſo eifrig an mir umher, daß ich es vor Kitzel nicht länger aushalten konnte. Ich ergriff daher das rechte Vorderbein derjenigen Ziege, welche mir die älteſte und verſtändigſte zu ſeyn ſchien, mit meinen kindlichen Händen, drückte es an mein Herz und ſagte: Ehrwürdige Mutter, ich danke Ihnen. Genug nun des Leckens! Ver- trauen Sie der Natur, und überlaſſen Sie ihr die Nachheilung meiner Ihrer Anſicht zu Folge wunden und geſchundenen Haut! — Wirklich ließen die gut- müthigen Ziegen, ſobald ſie meinen Wunſch ver- nommen hatten, von ihrer Leckkur ab. Die Zicklein, welche bisher dieſe Scene der Barmherzigkeit mit poſſirlichen Mienen und Ge- bärden umſtanden hatten, drängten ſich jetzt, entſetzt ſeitwärts blickend, den Müttern ſo innig an, wie die jüngſte der Niobiden dem Schooße, der ſie doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/145
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/145>, abgerufen am 09.11.2024.