denn Alles hatte aus ihm getrunken; selbst die Gräser, Blumen, Büsche, Bäume, welche das schäumende und doch so ruhige Naß benetzte, oder auch nur mit seinem feinem Dufte erreichte, stan- den stolzer und vornehmer da, als die Gewächse der Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und Kronen rührte, beschrieben die Stengel und Zweige schöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften. So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt und selbst im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen etwa einmal Eines gegen das Andere sich vergaß, adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi- gramme um; dieses war, was die Nähe bot, die Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli- chen Häupter des Pindus, Parnassus und Kithäron.
Mittags rasteten wir gewöhnlich auf einer son- nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen zu einem kurzen, aber traulichen Besuche. Sie be- wohnten eine andere Felsengrotte an der entgegen- gesetzten Seite des Berges und führten eine abge- sonderte Wirthschaft, denn zwischen beiden Geschlech- tern bestanden hier die edelsten und keuschesten Verhältnisse. Dann begannen die gymnischen Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern
denn Alles hatte aus ihm getrunken; ſelbſt die Gräſer, Blumen, Büſche, Bäume, welche das ſchäumende und doch ſo ruhige Naß benetzte, oder auch nur mit ſeinem feinem Dufte erreichte, ſtan- den ſtolzer und vornehmer da, als die Gewächſe der Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und Kronen rührte, beſchrieben die Stengel und Zweige ſchöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften. So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt und ſelbſt im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen etwa einmal Eines gegen das Andere ſich vergaß, adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi- gramme um; dieſes war, was die Nähe bot, die Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli- chen Häupter des Pindus, Parnaſſus und Kithäron.
Mittags raſteten wir gewöhnlich auf einer ſon- nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen zu einem kurzen, aber traulichen Beſuche. Sie be- wohnten eine andere Felſengrotte an der entgegen- geſetzten Seite des Berges und führten eine abge- ſonderte Wirthſchaft, denn zwiſchen beiden Geſchlech- tern beſtanden hier die edelſten und keuſcheſten Verhältniſſe. Dann begannen die gymniſchen Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0155"n="137"/>
denn Alles hatte aus ihm getrunken; ſelbſt die<lb/>
Gräſer, Blumen, Büſche, Bäume, welche das<lb/>ſchäumende und doch ſo ruhige Naß benetzte, oder<lb/>
auch nur mit ſeinem feinem Dufte erreichte, ſtan-<lb/>
den ſtolzer und vornehmer da, als die Gewächſe der<lb/>
Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und<lb/>
Kronen rührte, beſchrieben die Stengel und Zweige<lb/>ſchöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften.<lb/>
So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt<lb/>
und ſelbſt im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen<lb/>
etwa einmal Eines gegen das Andere ſich vergaß,<lb/>
adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi-<lb/>
gramme um; dieſes war, was die Nähe bot, die<lb/>
Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli-<lb/>
chen Häupter des Pindus, Parnaſſus und Kithäron.</p><lb/><p>Mittags raſteten wir gewöhnlich auf einer ſon-<lb/>
nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen<lb/>
zu einem kurzen, aber traulichen Beſuche. Sie be-<lb/>
wohnten eine andere Felſengrotte an der entgegen-<lb/>
geſetzten Seite des Berges und führten eine abge-<lb/>ſonderte Wirthſchaft, denn zwiſchen beiden Geſchlech-<lb/>
tern beſtanden hier die edelſten und keuſcheſten<lb/>
Verhältniſſe. Dann begannen die gymniſchen<lb/>
Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[137/0155]
denn Alles hatte aus ihm getrunken; ſelbſt die
Gräſer, Blumen, Büſche, Bäume, welche das
ſchäumende und doch ſo ruhige Naß benetzte, oder
auch nur mit ſeinem feinem Dufte erreichte, ſtan-
den ſtolzer und vornehmer da, als die Gewächſe der
Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und
Kronen rührte, beſchrieben die Stengel und Zweige
ſchöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften.
So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt
und ſelbſt im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen
etwa einmal Eines gegen das Andere ſich vergaß,
adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi-
gramme um; dieſes war, was die Nähe bot, die
Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli-
chen Häupter des Pindus, Parnaſſus und Kithäron.
Mittags raſteten wir gewöhnlich auf einer ſon-
nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen
zu einem kurzen, aber traulichen Beſuche. Sie be-
wohnten eine andere Felſengrotte an der entgegen-
geſetzten Seite des Berges und führten eine abge-
ſonderte Wirthſchaft, denn zwiſchen beiden Geſchlech-
tern beſtanden hier die edelſten und keuſcheſten
Verhältniſſe. Dann begannen die gymniſchen
Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/155>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.