Unbegreiflich, woher der Mensch alles das Zeug nimmt! Er muß ein sonderbares Leben geführt haben; mitunter ist es mir, als habe ich ihn schon irgendwo gesehen, ich weiß nur nicht, wo?
Der Schulmeister betrat den Söller, bot seinem bisherigen Beschützer einen ehrerbietigen guten Mor- gen und ersuchte ihn dann ohne weitere Vorrede um einen seiner alten, abgelegten Röcke. Auf die ver- wunderte Frage des alten Barons, wie er gerade jetzt auf dieses Verlangen falle, da er sich so lange mit dem braunen Mantelkragen beholfen habe, erwiederte der Andere, daß letztere Bekleidung ihm als Menschen in seiner Zurückgezogenheit wohl er- laubt gewesen sei, sich aber nicht mehr ziemen wolle, wenn er, wie jetzt der Fall, in das öffent- liche Leben wieder einzutreten gedenke. In diesem werde nur der Rock anerkannt. Ich habe, fuhr er fort, indem er einen Brief hervorzog, gestern an meinen verehrten Vorgesetzten, den Herrn Schul- rath Thomasius unter unumwundener Darlegung meiner früheren und jetzigen Gemüthsverfassung geschrieben und ihn ersucht, mir einen Lehrposten von Neuem anzuvertrauen, da ich mich vollkommen fähig fühle, denselben zu bekleiden, nur nicht auf
Unbegreiflich, woher der Menſch alles das Zeug nimmt! Er muß ein ſonderbares Leben geführt haben; mitunter iſt es mir, als habe ich ihn ſchon irgendwo geſehen, ich weiß nur nicht, wo?
Der Schulmeiſter betrat den Söller, bot ſeinem bisherigen Beſchützer einen ehrerbietigen guten Mor- gen und erſuchte ihn dann ohne weitere Vorrede um einen ſeiner alten, abgelegten Röcke. Auf die ver- wunderte Frage des alten Barons, wie er gerade jetzt auf dieſes Verlangen falle, da er ſich ſo lange mit dem braunen Mantelkragen beholfen habe, erwiederte der Andere, daß letztere Bekleidung ihm als Menſchen in ſeiner Zurückgezogenheit wohl er- laubt geweſen ſei, ſich aber nicht mehr ziemen wolle, wenn er, wie jetzt der Fall, in das öffent- liche Leben wieder einzutreten gedenke. In dieſem werde nur der Rock anerkannt. Ich habe, fuhr er fort, indem er einen Brief hervorzog, geſtern an meinen verehrten Vorgeſetzten, den Herrn Schul- rath Thomaſius unter unumwundener Darlegung meiner früheren und jetzigen Gemüthsverfaſſung geſchrieben und ihn erſucht, mir einen Lehrpoſten von Neuem anzuvertrauen, da ich mich vollkommen fähig fühle, denſelben zu bekleiden, nur nicht auf
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Unbegreiflich, woher der Menſch alles das Zeug
nimmt! Er muß ein ſonderbares Leben geführt
haben; mitunter iſt es mir, als habe ich ihn ſchon
irgendwo geſehen, ich weiß nur nicht, wo?
Der Schulmeiſter betrat den Söller, bot ſeinem
bisherigen Beſchützer einen ehrerbietigen guten Mor-
gen und erſuchte ihn dann ohne weitere Vorrede um
einen ſeiner alten, abgelegten Röcke. Auf die ver-
wunderte Frage des alten Barons, wie er gerade
jetzt auf dieſes Verlangen falle, da er ſich ſo lange
mit dem braunen Mantelkragen beholfen habe,
erwiederte der Andere, daß letztere Bekleidung ihm
als Menſchen in ſeiner Zurückgezogenheit wohl er-
laubt geweſen ſei, ſich aber nicht mehr ziemen
wolle, wenn er, wie jetzt der Fall, in das öffent-
liche Leben wieder einzutreten gedenke. In dieſem
werde nur der Rock anerkannt. Ich habe, fuhr
er fort, indem er einen Brief hervorzog, geſtern an
meinen verehrten Vorgeſetzten, den Herrn Schul-
rath Thomaſius unter unumwundener Darlegung
meiner früheren und jetzigen Gemüthsverfaſſung
geſchrieben und ihn erſucht, mir einen Lehrpoſten
von Neuem anzuvertrauen, da ich mich vollkommen
fähig fühle, denſelben zu bekleiden, nur nicht auf
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/239>, abgerufen am 22.12.2024.
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