kommen, daß Keiner dem Andern eine Ohrfeige übel nehmen darf, wofern Letztere nur aus einer theuren Ueberzeugung entsprang. Kein Briefge- heimniß, kein Hausgeheimniß! Alle diese obsoleten Begriffe müssen fallen! Alles muß öffentlich seyn! Die Spalten der Zeitungen dürfen sich selbst den Beobachtungen über die Vorgänge des Orts, wohin Niemand schicken zu können Kaiser Karl der Fünfte bedauerte, nicht verschließen.
Was für ein Ort ist dieser, mein Meister? fragte das Fräulein.
Er heißet auf Ebräisch Gehenna, versetzte der Freiherr.
Ah so, sagte das Fräulein und that, als ob sie Münchhausen verstehe.
Dieser fuhr fort: Alles muß öffentlich seyn für das neue priesterliche Geschlecht der Wahrheit! Gott der Herr hat zwar Herz und Hirn unter Hüllen von Knochen, Häuten und Fleisch gesetzt, und deßhalb meinte die Menschheit lange Zeit, sie dürfe Manches, was Herz und Hirn ihr beschäf- tige, unter Hüllen verwahren, aber sie hat im Irrthum gestanden, es ist ein Versehen bei der Schöpfung vorgefallen. Brust und Kopf sollten
kommen, daß Keiner dem Andern eine Ohrfeige übel nehmen darf, wofern Letztere nur aus einer theuren Ueberzeugung entſprang. Kein Briefge- heimniß, kein Hausgeheimniß! Alle dieſe obſoleten Begriffe müſſen fallen! Alles muß öffentlich ſeyn! Die Spalten der Zeitungen dürfen ſich ſelbſt den Beobachtungen über die Vorgänge des Orts, wohin Niemand ſchicken zu können Kaiſer Karl der Fünfte bedauerte, nicht verſchließen.
Was für ein Ort iſt dieſer, mein Meiſter? fragte das Fräulein.
Er heißet auf Ebräiſch Gehenna, verſetzte der Freiherr.
Ah ſo, ſagte das Fräulein und that, als ob ſie Münchhauſen verſtehe.
Dieſer fuhr fort: Alles muß öffentlich ſeyn für das neue prieſterliche Geſchlecht der Wahrheit! Gott der Herr hat zwar Herz und Hirn unter Hüllen von Knochen, Häuten und Fleiſch geſetzt, und deßhalb meinte die Menſchheit lange Zeit, ſie dürfe Manches, was Herz und Hirn ihr beſchäf- tige, unter Hüllen verwahren, aber ſie hat im Irrthum geſtanden, es iſt ein Verſehen bei der Schöpfung vorgefallen. Bruſt und Kopf ſollten
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kommen, daß Keiner dem Andern eine Ohrfeige
übel nehmen darf, wofern Letztere nur aus einer
theuren Ueberzeugung entſprang. Kein Briefge-
heimniß, kein Hausgeheimniß! Alle dieſe obſoleten
Begriffe müſſen fallen! Alles muß öffentlich ſeyn!
Die Spalten der Zeitungen dürfen ſich ſelbſt den
Beobachtungen über die Vorgänge des Orts, wohin
Niemand ſchicken zu können Kaiſer Karl der Fünfte
bedauerte, nicht verſchließen.
Was für ein Ort iſt dieſer, mein Meiſter?
fragte das Fräulein.
Er heißet auf Ebräiſch Gehenna, verſetzte der
Freiherr.
Ah ſo, ſagte das Fräulein und that, als ob
ſie Münchhauſen verſtehe.
Dieſer fuhr fort: Alles muß öffentlich ſeyn für
das neue prieſterliche Geſchlecht der Wahrheit!
Gott der Herr hat zwar Herz und Hirn unter
Hüllen von Knochen, Häuten und Fleiſch geſetzt,
und deßhalb meinte die Menſchheit lange Zeit, ſie
dürfe Manches, was Herz und Hirn ihr beſchäf-
tige, unter Hüllen verwahren, aber ſie hat im
Irrthum geſtanden, es iſt ein Verſehen bei der
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/28>, abgerufen am 22.12.2024.
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