Als das Fräulein, noch eine leichte Röthe auf den Wangen, erschien, ging ihr Münchhausen entgegen, küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und sagte ernst: Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia!
Keine Mariage, mein Meister, erwiederte das Fräulein in würdiger Haltung.
So standen die beiden jungen Leute ohne Liebes- und Heirathsgedanken einander gegenüber; ihre Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwi- schen sie, legte seine Rechte, wie segnend auf die verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief: Nie in diesem Leben eine Mariage!
Die Rührung des Abends war groß. Der Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht. Keine der drei Personen, welche auf dem Wege der Offenheit einander so nahe gerückt waren, mochte einen Bissen in den Mund nehmen. Der Schulmeister, welcher nichts von dem ganzen Her- gange begriff, aß Alles auf.
Von den tiefsinnigen Bemerkungen, welche Münch- hausen an diesem Abende mittheilte, hat die Ge- schichte folgende bewahrt.
Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahr- heit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin
Als das Fräulein, noch eine leichte Röthe auf den Wangen, erſchien, ging ihr Münchhauſen entgegen, küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und ſagte ernſt: Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia!
Keine Mariage, mein Meiſter, erwiederte das Fräulein in würdiger Haltung.
So ſtanden die beiden jungen Leute ohne Liebes- und Heirathsgedanken einander gegenüber; ihre Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwi- ſchen ſie, legte ſeine Rechte, wie ſegnend auf die verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief: Nie in dieſem Leben eine Mariage!
Die Rührung des Abends war groß. Der Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht. Keine der drei Perſonen, welche auf dem Wege der Offenheit einander ſo nahe gerückt waren, mochte einen Biſſen in den Mund nehmen. Der Schulmeiſter, welcher nichts von dem ganzen Her- gange begriff, aß Alles auf.
Von den tiefſinnigen Bemerkungen, welche Münch- hauſen an dieſem Abende mittheilte, hat die Ge- ſchichte folgende bewahrt.
Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahr- heit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0027"n="9"/><p>Als das Fräulein, noch eine leichte Röthe auf den<lb/>
Wangen, erſchien, ging ihr Münchhauſen entgegen,<lb/>
küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und ſagte<lb/>
ernſt: Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia!</p><lb/><p>Keine Mariage, mein Meiſter, erwiederte das<lb/>
Fräulein in würdiger Haltung.</p><lb/><p>So ſtanden die beiden jungen Leute ohne Liebes-<lb/>
und Heirathsgedanken einander gegenüber; ihre<lb/>
Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwi-<lb/>ſchen ſie, legte ſeine Rechte, wie ſegnend auf die<lb/>
verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief:<lb/>
Nie in dieſem Leben eine Mariage!</p><lb/><p>Die Rührung des Abends war groß. Der<lb/>
Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht.<lb/>
Keine der drei Perſonen, welche auf dem Wege<lb/>
der Offenheit einander ſo nahe gerückt waren,<lb/>
mochte einen Biſſen in den Mund nehmen. Der<lb/>
Schulmeiſter, welcher nichts von dem ganzen Her-<lb/>
gange begriff, aß Alles auf.</p><lb/><p>Von den tiefſinnigen Bemerkungen, welche Münch-<lb/>
hauſen an dieſem Abende mittheilte, hat die Ge-<lb/>ſchichte folgende bewahrt.</p><lb/><p>Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahr-<lb/>
heit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[9/0027]
Als das Fräulein, noch eine leichte Röthe auf den
Wangen, erſchien, ging ihr Münchhauſen entgegen,
küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und ſagte
ernſt: Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia!
Keine Mariage, mein Meiſter, erwiederte das
Fräulein in würdiger Haltung.
So ſtanden die beiden jungen Leute ohne Liebes-
und Heirathsgedanken einander gegenüber; ihre
Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwi-
ſchen ſie, legte ſeine Rechte, wie ſegnend auf die
verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief:
Nie in dieſem Leben eine Mariage!
Die Rührung des Abends war groß. Der
Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht.
Keine der drei Perſonen, welche auf dem Wege
der Offenheit einander ſo nahe gerückt waren,
mochte einen Biſſen in den Mund nehmen. Der
Schulmeiſter, welcher nichts von dem ganzen Her-
gange begriff, aß Alles auf.
Von den tiefſinnigen Bemerkungen, welche Münch-
hauſen an dieſem Abende mittheilte, hat die Ge-
ſchichte folgende bewahrt.
Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahr-
heit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/27>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.