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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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Als das Fräulein, noch eine leichte Röthe auf den
Wangen, erschien, ging ihr Münchhausen entgegen,
küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und sagte
ernst: Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia!

Keine Mariage, mein Meister, erwiederte das
Fräulein in würdiger Haltung.

So standen die beiden jungen Leute ohne Liebes-
und Heirathsgedanken einander gegenüber; ihre
Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwi-
schen sie, legte seine Rechte, wie segnend auf die
verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief:
Nie in diesem Leben eine Mariage!

Die Rührung des Abends war groß. Der
Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht.
Keine der drei Personen, welche auf dem Wege
der Offenheit einander so nahe gerückt waren,
mochte einen Bissen in den Mund nehmen. Der
Schulmeister, welcher nichts von dem ganzen Her-
gange begriff, aß Alles auf.

Von den tiefsinnigen Bemerkungen, welche Münch-
hausen an diesem Abende mittheilte, hat die Ge-
schichte folgende bewahrt.

Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahr-
heit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin

Als das Fräulein, noch eine leichte Röthe auf den
Wangen, erſchien, ging ihr Münchhauſen entgegen,
küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und ſagte
ernſt: Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia!

Keine Mariage, mein Meiſter, erwiederte das
Fräulein in würdiger Haltung.

So ſtanden die beiden jungen Leute ohne Liebes-
und Heirathsgedanken einander gegenüber; ihre
Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwi-
ſchen ſie, legte ſeine Rechte, wie ſegnend auf die
verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief:
Nie in dieſem Leben eine Mariage!

Die Rührung des Abends war groß. Der
Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht.
Keine der drei Perſonen, welche auf dem Wege
der Offenheit einander ſo nahe gerückt waren,
mochte einen Biſſen in den Mund nehmen. Der
Schulmeiſter, welcher nichts von dem ganzen Her-
gange begriff, aß Alles auf.

Von den tiefſinnigen Bemerkungen, welche Münch-
hauſen an dieſem Abende mittheilte, hat die Ge-
ſchichte folgende bewahrt.

Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahr-
heit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin

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[9/0027] Als das Fräulein, noch eine leichte Röthe auf den Wangen, erſchien, ging ihr Münchhauſen entgegen, küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und ſagte ernſt: Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia! Keine Mariage, mein Meiſter, erwiederte das Fräulein in würdiger Haltung. So ſtanden die beiden jungen Leute ohne Liebes- und Heirathsgedanken einander gegenüber; ihre Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwi- ſchen ſie, legte ſeine Rechte, wie ſegnend auf die verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief: Nie in dieſem Leben eine Mariage! Die Rührung des Abends war groß. Der Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht. Keine der drei Perſonen, welche auf dem Wege der Offenheit einander ſo nahe gerückt waren, mochte einen Biſſen in den Mund nehmen. Der Schulmeiſter, welcher nichts von dem ganzen Her- gange begriff, aß Alles auf. Von den tiefſinnigen Bemerkungen, welche Münch- hauſen an dieſem Abende mittheilte, hat die Ge- ſchichte folgende bewahrt. Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahr- heit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/27>, abgerufen am 22.12.2024.