dem Geber hinüber; der Eine nahm seiner Frau den Teller mit den Worten: Du brauchst nicht von anderer Leute Tellern zu essen, du hast deinen eigenen; weg und reichte ihn dem so eben geschäf- tig vorbeifliegenden Schulmeister. Der Andere warf ihn sogar ärgerlich mit der Befrachtung unter den Tisch, indem er halblaut rief: Was zu grob ist, ist zu grob! -- Der vornehme Herr vom Hofe begriff durchaus diese Einhergänge nicht, er suchte sich rechts und links, gerade und schräge hinüber so liebenswürdig als möglich zu machen, aber Alles war vergebens, weil er immer mit holder Unge- zwungenheit, die zwischen die festgestellte Ordnung der Tafel trat, darthun wollte, daß es ihn gar nicht beenge, unter so geringen Leuten zu sitzen. Aber das erschien den bäuerlichen Tischgenossen eben wie die größte Unart, und bis zum Schweinsbra- ten hatte sich flüsternd so ziemlich die Meinung festgestellt, daß man vornehme Leute für höflicher gehalten habe. Der umsonst sich Herablassende, welcher äußerlich die Fassung des Hofes behielt, obgleich ihm innerlich immer übler zu Muthe ward, sagte [e]ndlich zum Hofschulzen: Ihr habt hier recht eigenthumliche Sitten, Alterchen.
dem Geber hinüber; der Eine nahm ſeiner Frau den Teller mit den Worten: Du brauchſt nicht von anderer Leute Tellern zu eſſen, du haſt deinen eigenen; weg und reichte ihn dem ſo eben geſchäf- tig vorbeifliegenden Schulmeiſter. Der Andere warf ihn ſogar ärgerlich mit der Befrachtung unter den Tiſch, indem er halblaut rief: Was zu grob iſt, iſt zu grob! — Der vornehme Herr vom Hofe begriff durchaus dieſe Einhergänge nicht, er ſuchte ſich rechts und links, gerade und ſchräge hinüber ſo liebenswürdig als möglich zu machen, aber Alles war vergebens, weil er immer mit holder Unge- zwungenheit, die zwiſchen die feſtgeſtellte Ordnung der Tafel trat, darthun wollte, daß es ihn gar nicht beenge, unter ſo geringen Leuten zu ſitzen. Aber das erſchien den bäuerlichen Tiſchgenoſſen eben wie die größte Unart, und bis zum Schweinsbra- ten hatte ſich flüſternd ſo ziemlich die Meinung feſtgeſtellt, daß man vornehme Leute für höflicher gehalten habe. Der umſonſt ſich Herablaſſende, welcher äußerlich die Faſſung des Hofes behielt, obgleich ihm innerlich immer übler zu Muthe ward, ſagte [e]ndlich zum Hofſchulzen: Ihr habt hier recht eigenthumliche Sitten, Alterchen.
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dem Geber hinüber; der Eine nahm ſeiner Frau
den Teller mit den Worten: Du brauchſt nicht von
anderer Leute Tellern zu eſſen, du haſt deinen
eigenen; weg und reichte ihn dem ſo eben geſchäf-
tig vorbeifliegenden Schulmeiſter. Der Andere warf
ihn ſogar ärgerlich mit der Befrachtung unter den
Tiſch, indem er halblaut rief: Was zu grob iſt,
iſt zu grob! — Der vornehme Herr vom Hofe
begriff durchaus dieſe Einhergänge nicht, er ſuchte
ſich rechts und links, gerade und ſchräge hinüber ſo
liebenswürdig als möglich zu machen, aber Alles
war vergebens, weil er immer mit holder Unge-
zwungenheit, die zwiſchen die feſtgeſtellte Ordnung
der Tafel trat, darthun wollte, daß es ihn gar
nicht beenge, unter ſo geringen Leuten zu ſitzen.
Aber das erſchien den bäuerlichen Tiſchgenoſſen eben
wie die größte Unart, und bis zum Schweinsbra-
ten hatte ſich flüſternd ſo ziemlich die Meinung
feſtgeſtellt, daß man vornehme Leute für höflicher
gehalten habe. Der umſonſt ſich Herablaſſende,
welcher äußerlich die Faſſung des Hofes behielt,
obgleich ihm innerlich immer übler zu Muthe ward,
ſagte endlich zum Hofſchulzen: Ihr habt hier recht
eigenthumliche Sitten, Alterchen.
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/117>, abgerufen am 24.11.2024.
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