-- Lisbeth ging still mit freudeschwimmendem Ge- sicht für sich hin und ihre Hände falteten sich oft unwillkührlich wie zum Gebet. Zuweilen flüsterte sie: O du! Aber weiter sagte sie nichts. Trieb der Jäger seine Possen zu arg, so drohte sie ihm mit dem Finger, dann sah er sie aus seinen dun- kelblauen tiefen Augen so ernst an, als zögen Ge- danken der Ewigkeit durch seine Seele. Dann lachte sie und rief: Ich fürchte mich vor dir, und er schmeichelte: So flüchte dich in Sicherheit! und breitete die Arme aus. Das that sie denn auch. Sie stürzte mit heftiger Zärtlichkeit wider seine Brust, daß die Locken schütterten und manche sich lösete, und dann ruhten sie lange umschlingend umschlungen, er in ihr und sie in ihm, der einige, ganze, vollkommene Mensch.
Er nannte sie sein Herz, sein Mädchen, sein Reh. Sie nannte ihn nur Oswald, aber immer mit einem anderen Ausdrucke, und alle Töne auf der Laute der Liebe, vom schwärmerischen Ent- zücken bis zum scherzenden Schmeichelgeflüster klan- gen und zitterten in dem einen Worte. Sie hatte keine eigentlich schöne Stimme, es lag darin etwas Bedecktes, Rauhes, aber seit heute quoll etwas
— Lisbeth ging ſtill mit freudeſchwimmendem Ge- ſicht für ſich hin und ihre Hände falteten ſich oft unwillkührlich wie zum Gebet. Zuweilen flüſterte ſie: O du! Aber weiter ſagte ſie nichts. Trieb der Jäger ſeine Poſſen zu arg, ſo drohte ſie ihm mit dem Finger, dann ſah er ſie aus ſeinen dun- kelblauen tiefen Augen ſo ernſt an, als zögen Ge- danken der Ewigkeit durch ſeine Seele. Dann lachte ſie und rief: Ich fürchte mich vor dir, und er ſchmeichelte: So flüchte dich in Sicherheit! und breitete die Arme aus. Das that ſie denn auch. Sie ſtürzte mit heftiger Zärtlichkeit wider ſeine Bruſt, daß die Locken ſchütterten und manche ſich löſete, und dann ruhten ſie lange umſchlingend umſchlungen, er in ihr und ſie in ihm, der einige, ganze, vollkommene Menſch.
Er nannte ſie ſein Herz, ſein Mädchen, ſein Reh. Sie nannte ihn nur Oswald, aber immer mit einem anderen Ausdrucke, und alle Töne auf der Laute der Liebe, vom ſchwärmeriſchen Ent- zücken bis zum ſcherzenden Schmeichelgeflüſter klan- gen und zitterten in dem einen Worte. Sie hatte keine eigentlich ſchöne Stimme, es lag darin etwas Bedecktes, Rauhes, aber ſeit heute quoll etwas
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— Lisbeth ging ſtill mit freudeſchwimmendem Ge-
ſicht für ſich hin und ihre Hände falteten ſich oft
unwillkührlich wie zum Gebet. Zuweilen flüſterte
ſie: O du! Aber weiter ſagte ſie nichts. Trieb
der Jäger ſeine Poſſen zu arg, ſo drohte ſie ihm
mit dem Finger, dann ſah er ſie aus ſeinen dun-
kelblauen tiefen Augen ſo ernſt an, als zögen Ge-
danken der Ewigkeit durch ſeine Seele. Dann
lachte ſie und rief: Ich fürchte mich vor dir, und
er ſchmeichelte: So flüchte dich in Sicherheit!
und breitete die Arme aus. Das that ſie denn
auch. Sie ſtürzte mit heftiger Zärtlichkeit wider
ſeine Bruſt, daß die Locken ſchütterten und manche
ſich löſete, und dann ruhten ſie lange umſchlingend
umſchlungen, er in ihr und ſie in ihm, der einige,
ganze, vollkommene Menſch.
Er nannte ſie ſein Herz, ſein Mädchen, ſein
Reh. Sie nannte ihn nur Oswald, aber immer
mit einem anderen Ausdrucke, und alle Töne auf
der Laute der Liebe, vom ſchwärmeriſchen Ent-
zücken bis zum ſcherzenden Schmeichelgeflüſter klan-
gen und zitterten in dem einen Worte. Sie hatte
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/128>, abgerufen am 21.11.2024.
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