Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft seine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er meinte, er müsse an den Himmel rühren. Die Wände seines Hauptes und seiner Brust wurden tempelweit, in sein Ohr fielen Töne, fremd, zerrei- ßend, himmlisch, und er sagte zu sich: Das ist der Gesang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. End- lich machten die Schmerzen einer prickelnden Wol- lust Raum, in welcher er seinen Körper wieder zu gewöhnlichem Maaße zusammenschrumpfen fühlte, während die Riesengestalt wie eine äußere Schaale oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umrissen um ihn stehen blieb. Die Finsternisse wichen von seinen Augen, indem sich große, gelbglänzende Licht- flächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von den Aepfeln ablösten und in die Augenwinkel zogen, wo sie allmählig verschwanden.
Während er so wieder sehend wurde, sang ein feiner, süßstimmiger Chor um ihn her -- er wußte nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch Zweige, Stauden und Gräser ihren Beitrag? -- ganz vernehmlich:
Wir dürfen's ihm sagen, Er muß es ertragen;
Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft ſeine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er meinte, er müſſe an den Himmel rühren. Die Wände ſeines Hauptes und ſeiner Bruſt wurden tempelweit, in ſein Ohr fielen Töne, fremd, zerrei- ßend, himmliſch, und er ſagte zu ſich: Das iſt der Geſang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. End- lich machten die Schmerzen einer prickelnden Wol- luſt Raum, in welcher er ſeinen Körper wieder zu gewöhnlichem Maaße zuſammenſchrumpfen fühlte, während die Rieſengeſtalt wie eine äußere Schaale oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umriſſen um ihn ſtehen blieb. Die Finſterniſſe wichen von ſeinen Augen, indem ſich große, gelbglänzende Licht- flächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von den Aepfeln ablöſten und in die Augenwinkel zogen, wo ſie allmählig verſchwanden.
Während er ſo wieder ſehend wurde, ſang ein feiner, ſüßſtimmiger Chor um ihn her — er wußte nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch Zweige, Stauden und Gräſer ihren Beitrag? — ganz vernehmlich:
Wir dürfen’s ihm ſagen, Er muß es ertragen;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0173"n="159"/>
Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte <hirendition="#g">Kraft</hi><lb/>ſeine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er<lb/>
meinte, er müſſe an den Himmel rühren. Die<lb/>
Wände ſeines Hauptes und ſeiner Bruſt wurden<lb/>
tempelweit, in ſein Ohr fielen Töne, fremd, zerrei-<lb/>
ßend, himmliſch, und er ſagte zu ſich: Das iſt der<lb/>
Geſang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. End-<lb/>
lich machten die Schmerzen einer prickelnden Wol-<lb/>
luſt Raum, in welcher er ſeinen Körper wieder<lb/>
zu gewöhnlichem Maaße zuſammenſchrumpfen fühlte,<lb/>
während die Rieſengeſtalt wie eine äußere Schaale<lb/>
oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umriſſen<lb/>
um ihn ſtehen blieb. Die Finſterniſſe wichen von<lb/>ſeinen Augen, indem ſich große, gelbglänzende Licht-<lb/>
flächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von<lb/>
den Aepfeln ablöſten und in die Augenwinkel zogen,<lb/>
wo ſie allmählig verſchwanden.</p><lb/><p>Während er ſo wieder ſehend wurde, ſang ein<lb/>
feiner, ſüßſtimmiger Chor um ihn her — er wußte<lb/>
nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch<lb/>
Zweige, Stauden und Gräſer ihren Beitrag? —<lb/>
ganz vernehmlich:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Wir dürfen’s ihm ſagen,</l><lb/><l>Er muß es ertragen;</l><lb/></lg></div></div></body></text></TEI>
[159/0173]
Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft
ſeine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er
meinte, er müſſe an den Himmel rühren. Die
Wände ſeines Hauptes und ſeiner Bruſt wurden
tempelweit, in ſein Ohr fielen Töne, fremd, zerrei-
ßend, himmliſch, und er ſagte zu ſich: Das iſt der
Geſang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. End-
lich machten die Schmerzen einer prickelnden Wol-
luſt Raum, in welcher er ſeinen Körper wieder
zu gewöhnlichem Maaße zuſammenſchrumpfen fühlte,
während die Rieſengeſtalt wie eine äußere Schaale
oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umriſſen
um ihn ſtehen blieb. Die Finſterniſſe wichen von
ſeinen Augen, indem ſich große, gelbglänzende Licht-
flächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von
den Aepfeln ablöſten und in die Augenwinkel zogen,
wo ſie allmählig verſchwanden.
Während er ſo wieder ſehend wurde, ſang ein
feiner, ſüßſtimmiger Chor um ihn her — er wußte
nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch
Zweige, Stauden und Gräſer ihren Beitrag? —
ganz vernehmlich:
Wir dürfen’s ihm ſagen,
Er muß es ertragen;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/173>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.