bettelte um Sonnenschein, das Kriechende dagegen um die Feuchtigkeit. Dieses ganze Gesindel nannte ihn seinen Herrgott, so daß ihm fast wieder die Sinne zu schwanken begannen.
Auch bei den Vögeln war des Zwitscherns, Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Bunt- specht kletterte an der Borke einer großen Eiche auf und nieder, hackte und pickte nach den Wür- mern und ward nicht müd' zu schreien: Ich bin der Förster; ich muß für den Wald sorgen! -- Der Zaunkönig sagte zum Finken: Es ist gar keine Freundschaft mehr unter uns; der Pfau will nicht leiden, daß auch ich ein Rad schlage, er meint, er habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt beim höchsten Gericht, und ich kann doch ein so schönes Rädlein schlagen mit meinem braunen Schwänzlein. -- Der Fink versetzte: Laß mich zufrie- den. Ich freß' mein Korn und kümmere mich sonst um Nichts; ich hab' ganz andere Sorgen, zu mei- nem Waldschlag lern' ich die eigentlichen kunst- mäßigen Weisen nur hinzu, wenn sie mich blenden; es ist aber schrecklich, daß aus Einem erst was Rechtes wird, wenn man so hart verstümmelt wor- den ist. -- Von Diebstählen plauderten die Andern
bettelte um Sonnenſchein, das Kriechende dagegen um die Feuchtigkeit. Dieſes ganze Geſindel nannte ihn ſeinen Herrgott, ſo daß ihm faſt wieder die Sinne zu ſchwanken begannen.
Auch bei den Vögeln war des Zwitſcherns, Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Bunt- ſpecht kletterte an der Borke einer großen Eiche auf und nieder, hackte und pickte nach den Wür- mern und ward nicht müd’ zu ſchreien: Ich bin der Förſter; ich muß für den Wald ſorgen! — Der Zaunkönig ſagte zum Finken: Es iſt gar keine Freundſchaft mehr unter uns; der Pfau will nicht leiden, daß auch ich ein Rad ſchlage, er meint, er habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt beim höchſten Gericht, und ich kann doch ein ſo ſchönes Rädlein ſchlagen mit meinem braunen Schwänzlein. — Der Fink verſetzte: Laß mich zufrie- den. Ich freß’ mein Korn und kümmere mich ſonſt um Nichts; ich hab’ ganz andere Sorgen, zu mei- nem Waldſchlag lern’ ich die eigentlichen kunſt- mäßigen Weiſen nur hinzu, wenn ſie mich blenden; es iſt aber ſchrecklich, daß aus Einem erſt was Rechtes wird, wenn man ſo hart verſtümmelt wor- den iſt. — Von Diebſtählen plauderten die Andern
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bettelte um Sonnenſchein, das Kriechende dagegen
um die Feuchtigkeit. Dieſes ganze Geſindel nannte
ihn ſeinen Herrgott, ſo daß ihm faſt wieder die
Sinne zu ſchwanken begannen.
Auch bei den Vögeln war des Zwitſcherns,
Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Bunt-
ſpecht kletterte an der Borke einer großen Eiche
auf und nieder, hackte und pickte nach den Wür-
mern und ward nicht müd’ zu ſchreien: Ich bin
der Förſter; ich muß für den Wald ſorgen! — Der
Zaunkönig ſagte zum Finken: Es iſt gar keine
Freundſchaft mehr unter uns; der Pfau will nicht
leiden, daß auch ich ein Rad ſchlage, er meint, er
habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt
beim höchſten Gericht, und ich kann doch ein ſo
ſchönes Rädlein ſchlagen mit meinem braunen
Schwänzlein. — Der Fink verſetzte: Laß mich zufrie-
den. Ich freß’ mein Korn und kümmere mich ſonſt
um Nichts; ich hab’ ganz andere Sorgen, zu mei-
nem Waldſchlag lern’ ich die eigentlichen kunſt-
mäßigen Weiſen nur hinzu, wenn ſie mich blenden;
es iſt aber ſchrecklich, daß aus Einem erſt was
Rechtes wird, wenn man ſo hart verſtümmelt wor-
den iſt. — Von Diebſtählen plauderten die Andern
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/176>, abgerufen am 24.11.2024.
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