Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

uns trafen und trennten draußen auf dem Heer-
wege, der kaum tausend Schritte weit von hier
läuft und seit wir von einander gegangen sind, mag
eine Stunde verstrichen seyn, denn der Schatten,
den der Strauch da auf den Rasen wirft, ist nur
um ein Geringes gewachsen. Wir waren vier und
zwanzig Jahre alt vor dieser Stunde, du bist darin
um sechszig Minuten, ich aber bin derweile um
sechszig Jahre älter geworden. Ich habe vierund-
achtzig. -- So sehen wir uns wieder; ich habe es
freilich nicht gedacht.

Konrad und Emma waren aufgestanden. Sie
schmiegte sich scheu an den Geliebten und sagte
leise: Es ist ein armer Irrsinniger. -- Nein, du
schöne Emma, sagte der Alte, ich bin nicht irre.
Dich habe ich geliebt, mein Zauber fiel auf dich,
und ich hätte dich haben können, wäre es mir
vergönnt gewesen, in Gottes Namen dir den rothen
Mund zu küssen, was der einzige Segen ist, womit
schöne Minne erweckt wird. Statt dessen mußte ich
nach dem Eibenzweige gehen und dem Schuhu seine
Klause vor Wind und Wetter verwahren helfen. Nun,
wie es gekommen ist, so mußte es kommen. Er hat
die Braut, und ich habe den Tod davon getragen.


uns trafen und trennten draußen auf dem Heer-
wege, der kaum tauſend Schritte weit von hier
läuft und ſeit wir von einander gegangen ſind, mag
eine Stunde verſtrichen ſeyn, denn der Schatten,
den der Strauch da auf den Raſen wirft, iſt nur
um ein Geringes gewachſen. Wir waren vier und
zwanzig Jahre alt vor dieſer Stunde, du biſt darin
um ſechszig Minuten, ich aber bin derweile um
ſechszig Jahre älter geworden. Ich habe vierund-
achtzig. — So ſehen wir uns wieder; ich habe es
freilich nicht gedacht.

Konrad und Emma waren aufgeſtanden. Sie
ſchmiegte ſich ſcheu an den Geliebten und ſagte
leiſe: Es iſt ein armer Irrſinniger. — Nein, du
ſchöne Emma, ſagte der Alte, ich bin nicht irre.
Dich habe ich geliebt, mein Zauber fiel auf dich,
und ich hätte dich haben können, wäre es mir
vergönnt geweſen, in Gottes Namen dir den rothen
Mund zu küſſen, was der einzige Segen iſt, womit
ſchöne Minne erweckt wird. Statt deſſen mußte ich
nach dem Eibenzweige gehen und dem Schuhu ſeine
Klauſe vor Wind und Wetter verwahren helfen. Nun,
wie es gekommen iſt, ſo mußte es kommen. Er hat
die Braut, und ich habe den Tod davon getragen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0198" n="184"/>
uns trafen und trennten draußen auf dem Heer-<lb/>
wege, der kaum tau&#x017F;end Schritte weit von hier<lb/>
läuft und &#x017F;eit wir von einander gegangen &#x017F;ind, mag<lb/>
eine Stunde ver&#x017F;trichen &#x017F;eyn, denn der Schatten,<lb/>
den der Strauch da auf den Ra&#x017F;en wirft, i&#x017F;t nur<lb/>
um ein Geringes gewach&#x017F;en. Wir waren vier und<lb/>
zwanzig Jahre alt vor die&#x017F;er Stunde, du bi&#x017F;t darin<lb/>
um &#x017F;echszig Minuten, ich aber bin derweile um<lb/>
&#x017F;echszig Jahre älter geworden. Ich habe vierund-<lb/>
achtzig. &#x2014; So &#x017F;ehen wir uns wieder; ich habe es<lb/>
freilich nicht gedacht.</p><lb/>
          <p>Konrad und Emma waren aufge&#x017F;tanden. Sie<lb/>
&#x017F;chmiegte &#x017F;ich &#x017F;cheu an den Geliebten und &#x017F;agte<lb/>
lei&#x017F;e: Es i&#x017F;t ein armer Irr&#x017F;inniger. &#x2014; Nein, du<lb/>
&#x017F;chöne Emma, &#x017F;agte der Alte, ich bin nicht irre.<lb/>
Dich habe ich geliebt, mein Zauber fiel auf dich,<lb/>
und ich hätte dich haben können, wäre es mir<lb/>
vergönnt gewe&#x017F;en, in Gottes Namen dir den rothen<lb/>
Mund zu kü&#x017F;&#x017F;en, was der einzige Segen i&#x017F;t, womit<lb/>
&#x017F;chöne Minne erweckt wird. Statt de&#x017F;&#x017F;en mußte ich<lb/>
nach dem Eibenzweige gehen und dem Schuhu &#x017F;eine<lb/>
Klau&#x017F;e vor Wind und Wetter verwahren helfen. Nun,<lb/>
wie es gekommen i&#x017F;t, &#x017F;o mußte es kommen. Er hat<lb/>
die Braut, und ich habe den Tod davon getragen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0198] uns trafen und trennten draußen auf dem Heer- wege, der kaum tauſend Schritte weit von hier läuft und ſeit wir von einander gegangen ſind, mag eine Stunde verſtrichen ſeyn, denn der Schatten, den der Strauch da auf den Raſen wirft, iſt nur um ein Geringes gewachſen. Wir waren vier und zwanzig Jahre alt vor dieſer Stunde, du biſt darin um ſechszig Minuten, ich aber bin derweile um ſechszig Jahre älter geworden. Ich habe vierund- achtzig. — So ſehen wir uns wieder; ich habe es freilich nicht gedacht. Konrad und Emma waren aufgeſtanden. Sie ſchmiegte ſich ſcheu an den Geliebten und ſagte leiſe: Es iſt ein armer Irrſinniger. — Nein, du ſchöne Emma, ſagte der Alte, ich bin nicht irre. Dich habe ich geliebt, mein Zauber fiel auf dich, und ich hätte dich haben können, wäre es mir vergönnt geweſen, in Gottes Namen dir den rothen Mund zu küſſen, was der einzige Segen iſt, womit ſchöne Minne erweckt wird. Statt deſſen mußte ich nach dem Eibenzweige gehen und dem Schuhu ſeine Klauſe vor Wind und Wetter verwahren helfen. Nun, wie es gekommen iſt, ſo mußte es kommen. Er hat die Braut, und ich habe den Tod davon getragen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/198
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/198>, abgerufen am 21.11.2024.