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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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wünschte einsame Castell zugänglich werden würde.
Vorläufig aber setzte er sich auf einem Stein, der
im Hofe lag, zur kurzen Rast nieder, denn der
Weg seit früh Morgens -- und jetzt ging es schon
auf Mittag -- hatte ihn ermüdet. Von diesem
Steine überblickte er den Schauplatz. Er sah den
verwilderten unordentlichen Platz voll Nesseln, Di-
steln und Wegerich, die zerstörte Pforte, das
elende, klüftige, verfallene Haus mit dem durch-
löcherten Dache. Alles das sah in dem nun schon
heranwehenden grauen Haarrauche noch unheimlicher
und jammervoller aus, als gewöhnlich.

Und dennoch ergriff unseren jungen Jäger bei
dem Anblicke dieses bettelhaften Elendes eine
fromme Rührung, welche die zwiespältigen Empfin-
dungen in seiner Brust verwischte, die von den
sonderbaren Begegnissen des Morgens hervorgerufen
worden waren. Denn er erinnerte sich an die an-
muthigen Beschreibungen, die ihm Lisbeth von
dieser Zerstörung gemacht hatte, die er nun vor
Augen sah. So giebt es denn Gemüther, für
welche das Häßliche nicht da ist, weil sie in Allem
nur das Schöne erblicken! rief er freudig aus.
So blüht eine Unschuld des Geistes, welche ro-

wünſchte einſame Caſtell zugänglich werden würde.
Vorläufig aber ſetzte er ſich auf einem Stein, der
im Hofe lag, zur kurzen Raſt nieder, denn der
Weg ſeit früh Morgens — und jetzt ging es ſchon
auf Mittag — hatte ihn ermüdet. Von dieſem
Steine überblickte er den Schauplatz. Er ſah den
verwilderten unordentlichen Platz voll Neſſeln, Di-
ſteln und Wegerich, die zerſtörte Pforte, das
elende, klüftige, verfallene Haus mit dem durch-
löcherten Dache. Alles das ſah in dem nun ſchon
heranwehenden grauen Haarrauche noch unheimlicher
und jammervoller aus, als gewöhnlich.

Und dennoch ergriff unſeren jungen Jäger bei
dem Anblicke dieſes bettelhaften Elendes eine
fromme Rührung, welche die zwieſpältigen Empfin-
dungen in ſeiner Bruſt verwiſchte, die von den
ſonderbaren Begegniſſen des Morgens hervorgerufen
worden waren. Denn er erinnerte ſich an die an-
muthigen Beſchreibungen, die ihm Lisbeth von
dieſer Zerſtörung gemacht hatte, die er nun vor
Augen ſah. So giebt es denn Gemüther, für
welche das Häßliche nicht da iſt, weil ſie in Allem
nur das Schöne erblicken! rief er freudig aus.
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[207/0221] wünſchte einſame Caſtell zugänglich werden würde. Vorläufig aber ſetzte er ſich auf einem Stein, der im Hofe lag, zur kurzen Raſt nieder, denn der Weg ſeit früh Morgens — und jetzt ging es ſchon auf Mittag — hatte ihn ermüdet. Von dieſem Steine überblickte er den Schauplatz. Er ſah den verwilderten unordentlichen Platz voll Neſſeln, Di- ſteln und Wegerich, die zerſtörte Pforte, das elende, klüftige, verfallene Haus mit dem durch- löcherten Dache. Alles das ſah in dem nun ſchon heranwehenden grauen Haarrauche noch unheimlicher und jammervoller aus, als gewöhnlich. Und dennoch ergriff unſeren jungen Jäger bei dem Anblicke dieſes bettelhaften Elendes eine fromme Rührung, welche die zwieſpältigen Empfin- dungen in ſeiner Bruſt verwiſchte, die von den ſonderbaren Begegniſſen des Morgens hervorgerufen worden waren. Denn er erinnerte ſich an die an- muthigen Beſchreibungen, die ihm Lisbeth von dieſer Zerſtörung gemacht hatte, die er nun vor Augen ſah. So giebt es denn Gemüther, für welche das Häßliche nicht da iſt, weil ſie in Allem nur das Schöne erblicken! rief er freudig aus. So blüht eine Unſchuld des Geiſtes, welche ro-

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/221>, abgerufen am 21.11.2024.