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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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Eben war er mit den damastenen fertig ge-
worden und wollte zu denen von Tuch übergehen,
als draußen vor der Thüre der Kammer ein Leier-
kasten erklang, und folgendes Lied aus einer von
Trunk und Heiserkeit verwüsteten Kehle zu tönen
begann:

Fordre Niemand mein Schicksal zu hören,
Dem das Leben noch wonnevoll winkt;
Ja wohl könnte ich Geister beschwören --

Weiter ließ der Hofschulze den Schwanengesang
Kosciusko's nicht kommen, sondern rasch hinter dem
Saatlaken hervortretend, ging er zur Thüre und
rief ärgerlich hinaus: Was soll das? Was soll
das Geplärr im stillen Hochzeitshaus?

Ich wollt' mich nur anmelden, erwiederte die
heisere Stimme, indem die Pfeife des Leierkastens,
welche bei dem letzten Worte des Liedes in Thä-
tigkeit gewesen war, auspfiff. Herein trat, oder
vielmehr drängte sich eine mißgewachsene, kahlkopfige
Gestalt, in eine kurze, grobe Jacke und zerrissene
Hosen gekleidet, mit Holzschuhen an den Füßen.
Es war der einäugige Spielmann, der bei den
Bauern in der Gegend der Patriotencaspar hieß,
weil er in den Unruhen von 1787 als fünfzehn-

Eben war er mit den damaſtenen fertig ge-
worden und wollte zu denen von Tuch übergehen,
als draußen vor der Thüre der Kammer ein Leier-
kaſten erklang, und folgendes Lied aus einer von
Trunk und Heiſerkeit verwüſteten Kehle zu tönen
begann:

Fordre Niemand mein Schickſal zu hören,
Dem das Leben noch wonnevoll winkt;
Ja wohl könnte ich Geiſter beſchwören —

Weiter ließ der Hofſchulze den Schwanengeſang
Kosciusko’s nicht kommen, ſondern raſch hinter dem
Saatlaken hervortretend, ging er zur Thüre und
rief ärgerlich hinaus: Was ſoll das? Was ſoll
das Geplärr im ſtillen Hochzeitshaus?

Ich wollt’ mich nur anmelden, erwiederte die
heiſere Stimme, indem die Pfeife des Leierkaſtens,
welche bei dem letzten Worte des Liedes in Thä-
tigkeit geweſen war, auspfiff. Herein trat, oder
vielmehr drängte ſich eine mißgewachſene, kahlkopfige
Geſtalt, in eine kurze, grobe Jacke und zerriſſene
Hoſen gekleidet, mit Holzſchuhen an den Füßen.
Es war der einäugige Spielmann, der bei den
Bauern in der Gegend der Patriotencaspar hieß,
weil er in den Unruhen von 1787 als fünfzehn-

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[10/0024] Eben war er mit den damaſtenen fertig ge- worden und wollte zu denen von Tuch übergehen, als draußen vor der Thüre der Kammer ein Leier- kaſten erklang, und folgendes Lied aus einer von Trunk und Heiſerkeit verwüſteten Kehle zu tönen begann: Fordre Niemand mein Schickſal zu hören, Dem das Leben noch wonnevoll winkt; Ja wohl könnte ich Geiſter beſchwören — Weiter ließ der Hofſchulze den Schwanengeſang Kosciusko’s nicht kommen, ſondern raſch hinter dem Saatlaken hervortretend, ging er zur Thüre und rief ärgerlich hinaus: Was ſoll das? Was ſoll das Geplärr im ſtillen Hochzeitshaus? Ich wollt’ mich nur anmelden, erwiederte die heiſere Stimme, indem die Pfeife des Leierkaſtens, welche bei dem letzten Worte des Liedes in Thä- tigkeit geweſen war, auspfiff. Herein trat, oder vielmehr drängte ſich eine mißgewachſene, kahlkopfige Geſtalt, in eine kurze, grobe Jacke und zerriſſene Hoſen gekleidet, mit Holzſchuhen an den Füßen. Es war der einäugige Spielmann, der bei den Bauern in der Gegend der Patriotencaspar hieß, weil er in den Unruhen von 1787 als fünfzehn-

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/24>, abgerufen am 21.11.2024.