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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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der Rheinstädte, welche die Reise berührte, gerade
Assisen gehalten wurden. Denn einer solchen Ver-
handlung beizuwohnen wäre seine höchste Freude
gewesen, weil er nicht zu begreifen vermochte, wie
man einen armen Sünder bloß so mündlich und
ohne wenigstens hundert Protocolle zum Schaffot
befördern könne. Von Cöln war er, wie er dem
Jäger früher angekündigt hatte, rechts abgegan-
gen nach Westphalen. Gern wäre er allein gerei-
set, aber die junge Dame Clelia bekam plötzlich
die Laune, ihren Vetter, den sie sehr lieb hatte,
auch sehen zu wollen, und so mußte er sich mit
einem sauersüßen Gesichte unendlich glücklich schä-
tzen, noch länger die Ehre des Zusammenseyns
mit ihr zu haben.

Nach der Klippe, die in der Nähe dieser Schenke
über einem rauschenden Waldbache hing, mitzuge-
hen, hatte er natürlich auf das Entschiedenste und
Höflichste abgelehnt, sich vielmehr während des
Aufenthalts zu seiner Lectüre niedergesetzt. Diese
brachte in ihm stäts eine Art von Rausch hervor.
Er fühlte sich immer, so lange er in dem würtem-
bergischen Gesetzbuche las, oder unmittelbar nach
der Lesung der Gegenwart und Umgebung entrückt.

der Rheinſtädte, welche die Reiſe berührte, gerade
Aſſiſen gehalten wurden. Denn einer ſolchen Ver-
handlung beizuwohnen wäre ſeine höchſte Freude
geweſen, weil er nicht zu begreifen vermochte, wie
man einen armen Sünder bloß ſo mündlich und
ohne wenigſtens hundert Protocolle zum Schaffot
befördern könne. Von Cöln war er, wie er dem
Jäger früher angekündigt hatte, rechts abgegan-
gen nach Weſtphalen. Gern wäre er allein gerei-
ſet, aber die junge Dame Clelia bekam plötzlich
die Laune, ihren Vetter, den ſie ſehr lieb hatte,
auch ſehen zu wollen, und ſo mußte er ſich mit
einem ſauerſüßen Geſichte unendlich glücklich ſchä-
tzen, noch länger die Ehre des Zuſammenſeyns
mit ihr zu haben.

Nach der Klippe, die in der Nähe dieſer Schenke
über einem rauſchenden Waldbache hing, mitzuge-
hen, hatte er natürlich auf das Entſchiedenſte und
Höflichſte abgelehnt, ſich vielmehr während des
Aufenthalts zu ſeiner Lectüre niedergeſetzt. Dieſe
brachte in ihm ſtäts eine Art von Rauſch hervor.
Er fühlte ſich immer, ſo lange er in dem würtem-
bergiſchen Geſetzbuche las, oder unmittelbar nach
der Leſung der Gegenwart und Umgebung entrückt.

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[413/0427] der Rheinſtädte, welche die Reiſe berührte, gerade Aſſiſen gehalten wurden. Denn einer ſolchen Ver- handlung beizuwohnen wäre ſeine höchſte Freude geweſen, weil er nicht zu begreifen vermochte, wie man einen armen Sünder bloß ſo mündlich und ohne wenigſtens hundert Protocolle zum Schaffot befördern könne. Von Cöln war er, wie er dem Jäger früher angekündigt hatte, rechts abgegan- gen nach Weſtphalen. Gern wäre er allein gerei- ſet, aber die junge Dame Clelia bekam plötzlich die Laune, ihren Vetter, den ſie ſehr lieb hatte, auch ſehen zu wollen, und ſo mußte er ſich mit einem ſauerſüßen Geſichte unendlich glücklich ſchä- tzen, noch länger die Ehre des Zuſammenſeyns mit ihr zu haben. Nach der Klippe, die in der Nähe dieſer Schenke über einem rauſchenden Waldbache hing, mitzuge- hen, hatte er natürlich auf das Entſchiedenſte und Höflichſte abgelehnt, ſich vielmehr während des Aufenthalts zu ſeiner Lectüre niedergeſetzt. Dieſe brachte in ihm ſtäts eine Art von Rauſch hervor. Er fühlte ſich immer, ſo lange er in dem würtem- bergiſchen Geſetzbuche las, oder unmittelbar nach der Leſung der Gegenwart und Umgebung entrückt.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/427>, abgerufen am 24.11.2024.