Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

verlieren. Sie reichte dem Vater die Hand und
bot ihm, ohne aufzusehen, den guten Morgen, wor-
auf der Alte ohne alle Rührung Schön Dank ver-
setzte und seine frühere Positur wieder annahm.
Die Braut setzte sich an die andere Seite der
Thüre, nahm ihr Spinnrad vor sich und begann
eifrig zu spinnen, in welcher Arbeit sie observanz-
mäßig bis zu dem Augenblicke, wo der Bräutigam
sie zum Brautwagen führte, fortfahren mußte.

Der nachlässige Hochzeitbitter hatte sich unter-
dessen verstohlen entfernt. Die zweite Brautjung-
fer unterrichtete den Hofschulzen von dem Ausbleiben
der Sibylle, woran, wie sie hinzufügte, keine Un-
päßlichkeit, sondern das boshafte Wesen Schuld
sei, weil sie nämlich selbst ein Auge auf den Wil-
helm, den Bräutigam, gehabt habe. Die Glocke
begann eben zum erstenmale zu läuten und es war
nun durchaus keine Zeit zu verlieren. Der Hof-
schulze, der seit einer Viertelstunde aus einer Ver-
drießlichkeit in die andere gestürzt wurde, murmelte
tiefsinnig vor sich hin: Wenn nur Alles klug geht
bei dieser Hochzeit! -- Alle die Scheerereien --
hm! hm! ei! ei! -- Indessen muß der Mensch seine
Contenance behalten. -- Er gab, wiewohl sehr

verlieren. Sie reichte dem Vater die Hand und
bot ihm, ohne aufzuſehen, den guten Morgen, wor-
auf der Alte ohne alle Rührung Schön Dank ver-
ſetzte und ſeine frühere Poſitur wieder annahm.
Die Braut ſetzte ſich an die andere Seite der
Thüre, nahm ihr Spinnrad vor ſich und begann
eifrig zu ſpinnen, in welcher Arbeit ſie obſervanz-
mäßig bis zu dem Augenblicke, wo der Bräutigam
ſie zum Brautwagen führte, fortfahren mußte.

Der nachläſſige Hochzeitbitter hatte ſich unter-
deſſen verſtohlen entfernt. Die zweite Brautjung-
fer unterrichtete den Hofſchulzen von dem Ausbleiben
der Sibylle, woran, wie ſie hinzufügte, keine Un-
päßlichkeit, ſondern das boshafte Weſen Schuld
ſei, weil ſie nämlich ſelbſt ein Auge auf den Wil-
helm, den Bräutigam, gehabt habe. Die Glocke
begann eben zum erſtenmale zu läuten und es war
nun durchaus keine Zeit zu verlieren. Der Hof-
ſchulze, der ſeit einer Viertelſtunde aus einer Ver-
drießlichkeit in die andere geſtürzt wurde, murmelte
tiefſinnig vor ſich hin: Wenn nur Alles klug geht
bei dieſer Hochzeit! — Alle die Scheerereien —
hm! hm! ei! ei! — Indeſſen muß der Menſch ſeine
Contenance behalten. — Er gab, wiewohl ſehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0048" n="34"/>
verlieren. Sie reichte dem Vater die Hand und<lb/>
bot ihm, ohne aufzu&#x017F;ehen, den guten Morgen, wor-<lb/>
auf der Alte ohne alle Rührung Schön Dank ver-<lb/>
&#x017F;etzte und &#x017F;eine frühere Po&#x017F;itur wieder annahm.<lb/>
Die Braut &#x017F;etzte &#x017F;ich an die andere Seite der<lb/>
Thüre, nahm ihr Spinnrad vor &#x017F;ich und begann<lb/>
eifrig zu &#x017F;pinnen, in welcher Arbeit &#x017F;ie ob&#x017F;ervanz-<lb/>
mäßig bis zu dem Augenblicke, wo der Bräutigam<lb/>
&#x017F;ie zum Brautwagen führte, fortfahren mußte.</p><lb/>
          <p>Der nachlä&#x017F;&#x017F;ige Hochzeitbitter hatte &#x017F;ich unter-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;tohlen entfernt. Die zweite Brautjung-<lb/>
fer unterrichtete den Hof&#x017F;chulzen von dem Ausbleiben<lb/>
der Sibylle, woran, wie &#x017F;ie hinzufügte, keine Un-<lb/>
päßlichkeit, &#x017F;ondern das boshafte We&#x017F;en Schuld<lb/>
&#x017F;ei, weil &#x017F;ie nämlich &#x017F;elb&#x017F;t ein Auge auf den Wil-<lb/>
helm, den Bräutigam, gehabt habe. Die Glocke<lb/>
begann eben zum er&#x017F;tenmale zu läuten und es war<lb/>
nun durchaus keine Zeit zu verlieren. Der Hof-<lb/>
&#x017F;chulze, der &#x017F;eit einer Viertel&#x017F;tunde aus einer Ver-<lb/>
drießlichkeit in die andere ge&#x017F;türzt wurde, murmelte<lb/>
tief&#x017F;innig vor &#x017F;ich hin: Wenn nur Alles klug geht<lb/>
bei die&#x017F;er Hochzeit! &#x2014; Alle die Scheerereien &#x2014;<lb/>
hm! hm! ei! ei! &#x2014; Inde&#x017F;&#x017F;en muß der Men&#x017F;ch &#x017F;eine<lb/>
Contenance behalten. &#x2014; Er gab, wiewohl &#x017F;ehr<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0048] verlieren. Sie reichte dem Vater die Hand und bot ihm, ohne aufzuſehen, den guten Morgen, wor- auf der Alte ohne alle Rührung Schön Dank ver- ſetzte und ſeine frühere Poſitur wieder annahm. Die Braut ſetzte ſich an die andere Seite der Thüre, nahm ihr Spinnrad vor ſich und begann eifrig zu ſpinnen, in welcher Arbeit ſie obſervanz- mäßig bis zu dem Augenblicke, wo der Bräutigam ſie zum Brautwagen führte, fortfahren mußte. Der nachläſſige Hochzeitbitter hatte ſich unter- deſſen verſtohlen entfernt. Die zweite Brautjung- fer unterrichtete den Hofſchulzen von dem Ausbleiben der Sibylle, woran, wie ſie hinzufügte, keine Un- päßlichkeit, ſondern das boshafte Weſen Schuld ſei, weil ſie nämlich ſelbſt ein Auge auf den Wil- helm, den Bräutigam, gehabt habe. Die Glocke begann eben zum erſtenmale zu läuten und es war nun durchaus keine Zeit zu verlieren. Der Hof- ſchulze, der ſeit einer Viertelſtunde aus einer Ver- drießlichkeit in die andere geſtürzt wurde, murmelte tiefſinnig vor ſich hin: Wenn nur Alles klug geht bei dieſer Hochzeit! — Alle die Scheerereien — hm! hm! ei! ei! — Indeſſen muß der Menſch ſeine Contenance behalten. — Er gab, wiewohl ſehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/48
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/48>, abgerufen am 21.11.2024.