dann immer mit freilich nicht selten kühnen Gän- gen sich in die gangbaren Kirchenmelodien hinüber- zuschwingen.
Während des Liedes betrat der Diaconus die Kanzel, und als er die Augen zufällig auf die Ver- sammlung warf, hatte er einen unerwarteten An- blick. Ein vornehmer Herr vom Hofe stand näm- lich mitten unter den Bauern, deren Aufmerksam- keit er zerstreute, weil sie von ihrem Gesangbuche immer empor- und nach seinem Sterne schielten. Der vornehme Herr wollte mit irgend einem Bauern in das Gesangbuch sehen, um in das Lied einzustimmen, da aber Jeder, so wie der Herr vom Hofe sich ihm näherte, ehrerbietig auswich, so ge- langte er nicht zum Zwecke und erregte nur eine fast allgemeine Unruhe. Denn wenn er in eine Kirchenbank sich setzte, so rutschten auf der Stelle sämmtliche darin seßhafte Bauern bis in die äußerste entgegengesetzte Ecke, und entflohen der Bank gänz- lich, wenn der Vornehme ihnen nachrutschte. Dieses Rutschen und Entrutschen wiederholte sich in drei bis vier Bänken, so daß der Herr vom Hofe, der in der besten Absicht diesen Dorfgottesdienst besuchte, es end- lich aufgeben mußte, zu einer thätigen Theilnahme an
dann immer mit freilich nicht ſelten kühnen Gän- gen ſich in die gangbaren Kirchenmelodien hinüber- zuſchwingen.
Während des Liedes betrat der Diaconus die Kanzel, und als er die Augen zufällig auf die Ver- ſammlung warf, hatte er einen unerwarteten An- blick. Ein vornehmer Herr vom Hofe ſtand näm- lich mitten unter den Bauern, deren Aufmerkſam- keit er zerſtreute, weil ſie von ihrem Geſangbuche immer empor- und nach ſeinem Sterne ſchielten. Der vornehme Herr wollte mit irgend einem Bauern in das Geſangbuch ſehen, um in das Lied einzuſtimmen, da aber Jeder, ſo wie der Herr vom Hofe ſich ihm näherte, ehrerbietig auswich, ſo ge- langte er nicht zum Zwecke und erregte nur eine faſt allgemeine Unruhe. Denn wenn er in eine Kirchenbank ſich ſetzte, ſo rutſchten auf der Stelle ſämmtliche darin ſeßhafte Bauern bis in die äußerſte entgegengeſetzte Ecke, und entflohen der Bank gänz- lich, wenn der Vornehme ihnen nachrutſchte. Dieſes Rutſchen und Entrutſchen wiederholte ſich in drei bis vier Bänken, ſo daß der Herr vom Hofe, der in der beſten Abſicht dieſen Dorfgottesdienſt beſuchte, es end- lich aufgeben mußte, zu einer thätigen Theilnahme an
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[64/0078]
dann immer mit freilich nicht ſelten kühnen Gän-
gen ſich in die gangbaren Kirchenmelodien hinüber-
zuſchwingen.
Während des Liedes betrat der Diaconus die
Kanzel, und als er die Augen zufällig auf die Ver-
ſammlung warf, hatte er einen unerwarteten An-
blick. Ein vornehmer Herr vom Hofe ſtand näm-
lich mitten unter den Bauern, deren Aufmerkſam-
keit er zerſtreute, weil ſie von ihrem Geſangbuche
immer empor- und nach ſeinem Sterne ſchielten.
Der vornehme Herr wollte mit irgend einem
Bauern in das Geſangbuch ſehen, um in das Lied
einzuſtimmen, da aber Jeder, ſo wie der Herr vom
Hofe ſich ihm näherte, ehrerbietig auswich, ſo ge-
langte er nicht zum Zwecke und erregte nur eine
faſt allgemeine Unruhe. Denn wenn er in eine
Kirchenbank ſich ſetzte, ſo rutſchten auf der Stelle
ſämmtliche darin ſeßhafte Bauern bis in die äußerſte
entgegengeſetzte Ecke, und entflohen der Bank gänz-
lich, wenn der Vornehme ihnen nachrutſchte. Dieſes
Rutſchen und Entrutſchen wiederholte ſich in drei bis
vier Bänken, ſo daß der Herr vom Hofe, der in der
beſten Abſicht dieſen Dorfgottesdienſt beſuchte, es end-
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/78>, abgerufen am 24.11.2024.
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