Die junge Dame Clelia, welche ein leichtes Gähnen nicht verbergen konnte, sprach zum Diaco- nus: Lieber Herr Prediger, sagen Sie mir, was dünkt Ihnen vom menschlichen Leben? Denn ich habe Lust mit Ihnen etwas zu philosophiren.
Das thut mir sehr leid, gnädige Frau, ver- setzte der Diaconus. Es beweiset, wie ermüdend Ihnen der Aufenthalt in meinem Hause seyn muß. Wenn so schöne Lippen sich zur Philosophie be- quemen, so müssen wirklich alle Ressourcen der Unterhaltung versiegt seyn.
Clelia lachte und sagte: Zu galant für einen Kanzelredner und für einen Lehrer der Moral viel zu bösartig. -- In ihrer raschen Weise faßte sie die Hand des Geistlichen und rief: Wie wir Ihnen Alle dankbar seyn müssen für das Uebermaaß von Gastfreundschaft, womit Sie uns aus der abscheu- lichen Kneipe erlösten und bei sich in Ihrem be- schränkten Häuslein aufnahmen, mich sammt Jung- fer und Gemahl; (sie bediente sich dieser Reihen- folge ganz naiv) und jenem meinem Geschäftsan- beter dort in der Laube, das fühlen Sie wohl ohne Versicherung von meiner Seite, und Sie müssen mir, wenn wir scheiden, unter Ihrem
Die junge Dame Clelia, welche ein leichtes Gähnen nicht verbergen konnte, ſprach zum Diaco- nus: Lieber Herr Prediger, ſagen Sie mir, was dünkt Ihnen vom menſchlichen Leben? Denn ich habe Luſt mit Ihnen etwas zu philoſophiren.
Das thut mir ſehr leid, gnädige Frau, ver- ſetzte der Diaconus. Es beweiſet, wie ermüdend Ihnen der Aufenthalt in meinem Hauſe ſeyn muß. Wenn ſo ſchöne Lippen ſich zur Philoſophie be- quemen, ſo müſſen wirklich alle Reſſourcen der Unterhaltung verſiegt ſeyn.
Clelia lachte und ſagte: Zu galant für einen Kanzelredner und für einen Lehrer der Moral viel zu bösartig. — In ihrer raſchen Weiſe faßte ſie die Hand des Geiſtlichen und rief: Wie wir Ihnen Alle dankbar ſeyn müſſen für das Uebermaaß von Gaſtfreundſchaft, womit Sie uns aus der abſcheu- lichen Kneipe erlöſten und bei ſich in Ihrem be- ſchränkten Häuslein aufnahmen, mich ſammt Jung- fer und Gemahl; (ſie bediente ſich dieſer Reihen- folge ganz naiv) und jenem meinem Geſchäftsan- beter dort in der Laube, das fühlen Sie wohl ohne Verſicherung von meiner Seite, und Sie müſſen mir, wenn wir ſcheiden, unter Ihrem
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Die junge Dame Clelia, welche ein leichtes
Gähnen nicht verbergen konnte, ſprach zum Diaco-
nus: Lieber Herr Prediger, ſagen Sie mir, was
dünkt Ihnen vom menſchlichen Leben? Denn ich
habe Luſt mit Ihnen etwas zu philoſophiren.
Das thut mir ſehr leid, gnädige Frau, ver-
ſetzte der Diaconus. Es beweiſet, wie ermüdend
Ihnen der Aufenthalt in meinem Hauſe ſeyn muß.
Wenn ſo ſchöne Lippen ſich zur Philoſophie be-
quemen, ſo müſſen wirklich alle Reſſourcen der
Unterhaltung verſiegt ſeyn.
Clelia lachte und ſagte: Zu galant für einen
Kanzelredner und für einen Lehrer der Moral viel
zu bösartig. — In ihrer raſchen Weiſe faßte ſie
die Hand des Geiſtlichen und rief: Wie wir Ihnen
Alle dankbar ſeyn müſſen für das Uebermaaß von
Gaſtfreundſchaft, womit Sie uns aus der abſcheu-
lichen Kneipe erlöſten und bei ſich in Ihrem be-
ſchränkten Häuslein aufnahmen, mich ſammt Jung-
fer und Gemahl; (ſie bediente ſich dieſer Reihen-
folge ganz naiv) und jenem meinem Geſchäftsan-
beter dort in der Laube, das fühlen Sie wohl
ohne Verſicherung von meiner Seite, und Sie
müſſen mir, wenn wir ſcheiden, unter Ihrem
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/188>, abgerufen am 25.11.2024.
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