Das ist ein schöner Gott, versetzte Clelia und lachte.
Gnädige Frau, sagte der Diaconus, glauben Sie mir sicherlich, die Welt wird erst wieder an- fangen zu leben, wenn die Menschen sich erst wieder vom Zufall hin und her stoßen lassen, wenn man z. B. ausgeht, um Rache zu nehmen, und sich nicht darüber verwundert, findet man statt der Rache eine Braut, wenn man (Sie verzeihen meine Frei- müthigkeit) in einer zufälligen allerliebsten Auf- wallung entsagende Briefe nach Wien schreibt, und eben so zufällig von der Entsagung zum Häub- chen abfällt. Unsere Zeit ist so mit Planen, Tendenzen, Bewußtheiten überdeckt, daß das Leben gleichsam wie in einem zugesetzten Meiler nur ver- kohlt, und nie an der freien Luft zur lustigen Flamme aufschlagen kann. Die Lebensweisheit der wenigen Vernünftigen heut zu Tage besteht folglich darin, sich von der Stunde und von dem Ungefähr führen zu lassen, nach Launen und An- stößen des Augenblicks zu handeln.
Bravo! rief Clelia. Sie sind ein wahrer Prie- ster für uns Weltkinder. Und das sagt er Alles so ernsthaft, als sei es ihm damit bitterer Ernst.
Das iſt ein ſchöner Gott, verſetzte Clelia und lachte.
Gnädige Frau, ſagte der Diaconus, glauben Sie mir ſicherlich, die Welt wird erſt wieder an- fangen zu leben, wenn die Menſchen ſich erſt wieder vom Zufall hin und her ſtoßen laſſen, wenn man z. B. ausgeht, um Rache zu nehmen, und ſich nicht darüber verwundert, findet man ſtatt der Rache eine Braut, wenn man (Sie verzeihen meine Frei- müthigkeit) in einer zufälligen allerliebſten Auf- wallung entſagende Briefe nach Wien ſchreibt, und eben ſo zufällig von der Entſagung zum Häub- chen abfällt. Unſere Zeit iſt ſo mit Planen, Tendenzen, Bewußtheiten überdeckt, daß das Leben gleichſam wie in einem zugeſetzten Meiler nur ver- kohlt, und nie an der freien Luft zur luſtigen Flamme aufſchlagen kann. Die Lebensweisheit der wenigen Vernünftigen heut zu Tage beſteht folglich darin, ſich von der Stunde und von dem Ungefähr führen zu laſſen, nach Launen und An- ſtößen des Augenblicks zu handeln.
Bravo! rief Clelia. Sie ſind ein wahrer Prie- ſter für uns Weltkinder. Und das ſagt er Alles ſo ernſthaft, als ſei es ihm damit bitterer Ernſt.
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Das iſt ein ſchöner Gott, verſetzte Clelia und
lachte.
Gnädige Frau, ſagte der Diaconus, glauben
Sie mir ſicherlich, die Welt wird erſt wieder an-
fangen zu leben, wenn die Menſchen ſich erſt wieder
vom Zufall hin und her ſtoßen laſſen, wenn man
z. B. ausgeht, um Rache zu nehmen, und ſich
nicht darüber verwundert, findet man ſtatt der Rache
eine Braut, wenn man (Sie verzeihen meine Frei-
müthigkeit) in einer zufälligen allerliebſten Auf-
wallung entſagende Briefe nach Wien ſchreibt, und
eben ſo zufällig von der Entſagung zum Häub-
chen abfällt. Unſere Zeit iſt ſo mit Planen,
Tendenzen, Bewußtheiten überdeckt, daß das Leben
gleichſam wie in einem zugeſetzten Meiler nur ver-
kohlt, und nie an der freien Luft zur luſtigen
Flamme aufſchlagen kann. Die Lebensweisheit
der wenigen Vernünftigen heut zu Tage beſteht
folglich darin, ſich von der Stunde und von dem
Ungefähr führen zu laſſen, nach Launen und An-
ſtößen des Augenblicks zu handeln.
Bravo! rief Clelia. Sie ſind ein wahrer Prie-
ſter für uns Weltkinder. Und das ſagt er Alles
ſo ernſthaft, als ſei es ihm damit bitterer Ernſt.
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/192>, abgerufen am 24.11.2024.
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