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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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befallen worden, wie sie die Folgen eines plötz-
lichen großen Schrecks zu seyn pflegen, besonders
bei alten Leuten. Als er von dem scharfen Ge-
ruche des Essigs wieder erwachte, hob er sich,
ohne daß ihn das Mädchen zu unterstützen brauchte,
sogleich strack auf seine Füße, fuhr mit der Hand
über die Stirn und warf seinen ersten Blick in
die Kiste, deren Deckel aufgeklappt war. Mit
einer Mischung von Entsetzen und Kummer kehrte
aber der Blick des alten Mannes in sich zurück;
er klappte hastig den Deckel zu, als wollte er den
Verlust seines Theuersten jedem Auge verbergen
und trieb die Magd an, ihn zu verlassen. Diese
fragte zwar, was dem Baas zugestoßen sei, erhielt
jedoch keine andere Antwort von ihm, als, daß
ihn eine plötzliche Schwäche, vielleicht von dem
vielen Plaisir, welches gestern und heute gewesen,
angewandelt habe.

Als er auf der Kammer allein war, stand der
Hofschulze erst eine geraume Zeit mit übereinander
geschlagenen Händen ohne sich zu regen, da. Dann
setzte er sich auf die Kiste und nahm seinen Kopf
in beide Hände, um alle Winkel des Gedächt-
nisses zu durchforschen. Darauf erhob er sich,

befallen worden, wie ſie die Folgen eines plötz-
lichen großen Schrecks zu ſeyn pflegen, beſonders
bei alten Leuten. Als er von dem ſcharfen Ge-
ruche des Eſſigs wieder erwachte, hob er ſich,
ohne daß ihn das Mädchen zu unterſtützen brauchte,
ſogleich ſtrack auf ſeine Füße, fuhr mit der Hand
über die Stirn und warf ſeinen erſten Blick in
die Kiſte, deren Deckel aufgeklappt war. Mit
einer Miſchung von Entſetzen und Kummer kehrte
aber der Blick des alten Mannes in ſich zurück;
er klappte haſtig den Deckel zu, als wollte er den
Verluſt ſeines Theuerſten jedem Auge verbergen
und trieb die Magd an, ihn zu verlaſſen. Dieſe
fragte zwar, was dem Baas zugeſtoßen ſei, erhielt
jedoch keine andere Antwort von ihm, als, daß
ihn eine plötzliche Schwäche, vielleicht von dem
vielen Plaiſir, welches geſtern und heute geweſen,
angewandelt habe.

Als er auf der Kammer allein war, ſtand der
Hofſchulze erſt eine geraume Zeit mit übereinander
geſchlagenen Händen ohne ſich zu regen, da. Dann
ſetzte er ſich auf die Kiſte und nahm ſeinen Kopf
in beide Hände, um alle Winkel des Gedächt-
niſſes zu durchforſchen. Darauf erhob er ſich,

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[68/0080] befallen worden, wie ſie die Folgen eines plötz- lichen großen Schrecks zu ſeyn pflegen, beſonders bei alten Leuten. Als er von dem ſcharfen Ge- ruche des Eſſigs wieder erwachte, hob er ſich, ohne daß ihn das Mädchen zu unterſtützen brauchte, ſogleich ſtrack auf ſeine Füße, fuhr mit der Hand über die Stirn und warf ſeinen erſten Blick in die Kiſte, deren Deckel aufgeklappt war. Mit einer Miſchung von Entſetzen und Kummer kehrte aber der Blick des alten Mannes in ſich zurück; er klappte haſtig den Deckel zu, als wollte er den Verluſt ſeines Theuerſten jedem Auge verbergen und trieb die Magd an, ihn zu verlaſſen. Dieſe fragte zwar, was dem Baas zugeſtoßen ſei, erhielt jedoch keine andere Antwort von ihm, als, daß ihn eine plötzliche Schwäche, vielleicht von dem vielen Plaiſir, welches geſtern und heute geweſen, angewandelt habe. Als er auf der Kammer allein war, ſtand der Hofſchulze erſt eine geraume Zeit mit übereinander geſchlagenen Händen ohne ſich zu regen, da. Dann ſetzte er ſich auf die Kiſte und nahm ſeinen Kopf in beide Hände, um alle Winkel des Gedächt- niſſes zu durchforſchen. Darauf erhob er ſich,

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/80>, abgerufen am 21.11.2024.