dieser sieht selbst scharf genug, aber der arme Liebste hat ja nicht so durchdringende Augen und soll uns doch eben so genau kennen, wie Gott, weil er sich nicht auf Dieses und Jenes in uns, sondern auf Alles in Allem Zeit seines Lebens verlassen muß. Wer mir also, wenn er sagt, daß er mich liebe, dennoch einen Schein vorweben kann, von dem muß ich glauben, was sie mir wider ihn vor- bringen, und möchte es auch das Allerschlimmste seyn. Wer mir sagt, Herr Diaconus, er sei ein armer Förster und ist ein großer Graf, der kann auch noch anderen Lug und Trug wider mich vor- haben. -- Ach Gott! Ach Gott! Zuweilen denke ich: Es ist gar nicht möglich, daß ein Mensch, der so gut aussieht, so schlimm seyn kann! -- --
Ich bin eigentlich ganz elend worden, und wäre in den Schmerzen dieser Nacht wohl gestor- ben, hätte mir nicht mein Stolz geholfen. Weil ich aber tief gedemüthigt werden sollte, so hat mich das sehr stolz gemacht, ganz überaus stolz. Nun ist dieser Stolz freilich wohl nur Hülfe in der äußersten ersten Noth, und deßhalb flüchte ich mich zu Ihnen. Ich bitte Sie, gönnen Sie mir eine Freistatt in Ihrem Hause, Kosten mache ich
dieſer ſieht ſelbſt ſcharf genug, aber der arme Liebſte hat ja nicht ſo durchdringende Augen und ſoll uns doch eben ſo genau kennen, wie Gott, weil er ſich nicht auf Dieſes und Jenes in uns, ſondern auf Alles in Allem Zeit ſeines Lebens verlaſſen muß. Wer mir alſo, wenn er ſagt, daß er mich liebe, dennoch einen Schein vorweben kann, von dem muß ich glauben, was ſie mir wider ihn vor- bringen, und möchte es auch das Allerſchlimmſte ſeyn. Wer mir ſagt, Herr Diaconus, er ſei ein armer Förſter und iſt ein großer Graf, der kann auch noch anderen Lug und Trug wider mich vor- haben. — Ach Gott! Ach Gott! Zuweilen denke ich: Es iſt gar nicht möglich, daß ein Menſch, der ſo gut ausſieht, ſo ſchlimm ſeyn kann! — —
Ich bin eigentlich ganz elend worden, und wäre in den Schmerzen dieſer Nacht wohl geſtor- ben, hätte mir nicht mein Stolz geholfen. Weil ich aber tief gedemüthigt werden ſollte, ſo hat mich das ſehr ſtolz gemacht, ganz überaus ſtolz. Nun iſt dieſer Stolz freilich wohl nur Hülfe in der äußerſten erſten Noth, und deßhalb flüchte ich mich zu Ihnen. Ich bitte Sie, gönnen Sie mir eine Freiſtatt in Ihrem Hauſe, Koſten mache ich
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dieſer ſieht ſelbſt ſcharf genug, aber der arme Liebſte
hat ja nicht ſo durchdringende Augen und ſoll uns
doch eben ſo genau kennen, wie Gott, weil er
ſich nicht auf Dieſes und Jenes in uns, ſondern
auf Alles in Allem Zeit ſeines Lebens verlaſſen
muß. Wer mir alſo, wenn er ſagt, daß er mich
liebe, dennoch einen Schein vorweben kann, von
dem muß ich glauben, was ſie mir wider ihn vor-
bringen, und möchte es auch das Allerſchlimmſte
ſeyn. Wer mir ſagt, Herr Diaconus, er ſei ein
armer Förſter und iſt ein großer Graf, der kann
auch noch anderen Lug und Trug wider mich vor-
haben. — Ach Gott! Ach Gott! Zuweilen denke
ich: Es iſt gar nicht möglich, daß ein Menſch, der
ſo gut ausſieht, ſo ſchlimm ſeyn kann! — —
Ich bin eigentlich ganz elend worden, und
wäre in den Schmerzen dieſer Nacht wohl geſtor-
ben, hätte mir nicht mein Stolz geholfen. Weil
ich aber tief gedemüthigt werden ſollte, ſo hat
mich das ſehr ſtolz gemacht, ganz überaus ſtolz.
Nun iſt dieſer Stolz freilich wohl nur Hülfe in
der äußerſten erſten Noth, und deßhalb flüchte ich
mich zu Ihnen. Ich bitte Sie, gönnen Sie mir
eine Freiſtatt in Ihrem Hauſe, Koſten mache ich
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/87>, abgerufen am 24.11.2024.
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