seyn, der seine Neigungen sich aus lauter Moral bilden, der mit lauter Moral sie nach Gefallen unterdrücken kann! Zehnmal besser ist mir da der gutherzige Wildfang, der noch Leben im Busen nährt und Liebe. Und dann noch Eins! Auch dem Menschen höherer Art, der ein geordnetes, durchgängig zusammenhangendes Leben führt, muß vieles in Nebel verhüllt stehen; aber es ist nur der Duft, welcher von dem ganz aufgehellten Plane seines Wirkungskreises sich an dessen Gränzen gedrängt hat. Unsere Philoso- phen allein bewohnen Himmelnahe Felsenhö- hen, von keinem Dufte getrübt, rundum end- lose Helle und Leere. Mir gienge da der Athem aus. Schon ist mir die Luft zu dün- ne wo ich bin; und ich sinne darauf, wie ich allmählich noch etwas tiefer herabkomme. Auch ist nicht wohl zu läugnen, daß in einem engern Horizonte uns die Gegenstände viel wärmer an Auge und Herz kommen. Grän- zenlose Begränzung, Raum ohne Maaß und Ende; wo ichs erblicke, macht es mir
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ſeyn, der ſeine Neigungen ſich aus lauter Moral bilden, der mit lauter Moral ſie nach Gefallen unterdruͤcken kann! Zehnmal beſſer iſt mir da der gutherzige Wildfang, der noch Leben im Buſen naͤhrt und Liebe. Und dann noch Eins! Auch dem Menſchen hoͤherer Art, der ein geordnetes, durchgaͤngig zuſammenhangendes Leben fuͤhrt, muß vieles in Nebel verhuͤllt ſtehen; aber es iſt nur der Duft, welcher von dem ganz aufgehellten Plane ſeines Wirkungskreiſes ſich an deſſen Graͤnzen gedraͤngt hat. Unſere Philoſo- phen allein bewohnen Himmelnahe Felſenhoͤ- hen, von keinem Dufte getruͤbt, rundum end- loſe Helle und Leere. Mir gienge da der Athem aus. Schon iſt mir die Luft zu duͤn- ne wo ich bin; und ich ſinne darauf, wie ich allmaͤhlich noch etwas tiefer herabkomme. Auch iſt nicht wohl zu laͤugnen, daß in einem engern Horizonte uns die Gegenſtaͤnde viel waͤrmer an Auge und Herz kommen. Graͤn- zenloſe Begraͤnzung, Raum ohne Maaß und Ende; wo ichs erblicke, macht es mir
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ſeyn, der ſeine Neigungen ſich aus lauter
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nach Gefallen unterdruͤcken kann! Zehnmal
beſſer iſt mir da der gutherzige Wildfang, der
noch Leben im Buſen naͤhrt und Liebe.
Und dann noch Eins! Auch dem Menſchen
hoͤherer Art, der ein geordnetes, durchgaͤngig
zuſammenhangendes Leben fuͤhrt, muß vieles
in Nebel verhuͤllt ſtehen; aber es iſt nur der
Duft, welcher von dem ganz aufgehellten
Plane ſeines Wirkungskreiſes ſich an deſſen
Graͤnzen gedraͤngt hat. Unſere Philoſo-
phen allein bewohnen Himmelnahe Felſenhoͤ-
hen, von keinem Dufte getruͤbt, rundum end-
loſe Helle und Leere. Mir gienge da der
Athem aus. Schon iſt mir die Luft zu duͤn-
ne wo ich bin; und ich ſinne darauf, wie
ich allmaͤhlich noch etwas tiefer herabkomme.
Auch iſt nicht wohl zu laͤugnen, daß in einem
engern Horizonte uns die Gegenſtaͤnde viel
waͤrmer an Auge und Herz kommen. Graͤn-
zenloſe Begraͤnzung, Raum ohne Maaß und
Ende; wo ichs erblicke, macht es mir
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/123>, abgerufen am 24.11.2024.
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